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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bindet man die Stangen zusammen.«
    »Und wieviel braucht man für ein Grab?«
    »Weiß ich das? Bin ich Totengräber?«
    »Ich habe bisher noch nie Löcher in die Erde gesprengt. Aber ich muß anderthalb Meter tief gehen!« Gasisulin blickte Konstantin hilfesuchend an. »Du hast doch Erfahrung mit Dynamit, Genosse. Ich sage dir, diese Erde hier ist hart wie Beton. Was nimmst du bei anderthalb Metern Beton?«
    »Peilen wir es über den Daumen, Brüderchen. Nimm pro Grab drei Stangen, das reicht bestimmt!«
    »Und es passiert sonst nichts?«
    »Nichts, wenn du weit genug weg bist, wenn es explodiert.«
    »Das beruhigt mich, mein lieber Freund«, sagte Gasisulin glücklich. »Ich glaube, jetzt schaffe ich es bis morgen. Komm, hol mir die Stangen aus dem Lager! Wenn man sich nun nur noch auf die Särge konzentrieren muß …«
    Als er in seine Werkstatt zurückkehrte, pfiff er vergnügt. Wer ihn hörte, mußte ihn für einen rauhen Gesellen halten. Pfeifen beim Zimmern von Särgen …
    Oh, hätte man nur geahnt, was er in seiner Schublade aufbewahrte! Das ganze Dorf hätte mitgeholfen, die drei Toten unter die Erde zu bringen, selbst Tigran, der Pope, – hätte man es nur geahnt! Petrow hätte ihn sofort eingesperrt …
    So aber ging alles seinen verhängnisvollen Lauf.
    In einem wahren Höllentempo raste Tassburg am nächsten Morgen in seinem Geländewagen durch das Dorf. Jefim sah ihn und rannte sofort in die Kirche, um Tigran zu alarmieren.
    Tassburg überfuhr zwei Enten und eine Katze, die es nicht gewöhnt waren, so schnell aus dem Weg zu springen, und beinahe hätte er noch einen Bauern erwischt, der aus der Stolowaja kam, wo er die Toten besichtigt hatte. So etwas sah man nicht so schnell wieder in Satowka …
    »Er ist da!« schrie Jefim schon in der Kirchentür. »Er wird das Haus betreten! Rette ihn, Väterchen! Ein so lieber Mensch ist er …«
    Der Pope fragte gar nicht erst, wer da gekommen sei. Er wußte es sofort, raffte seine Soutane und folgte Jefim nach draußen.
    Tassburg hatte inzwischen sein Haus erreicht und rannte durch den kleinen Vorgarten. Gegenüber schrie Anastasia, die am Fenster ihrer Stube saß, entsetzt auf.
    »Zurück! Um der Mutter Maria willen – zurück! Michail Sofronowitsch, ich flehe Sie an …« Da der Genosse Ingenieur nicht hörte, schlug sie die Schürze über ihren Kopf und betete still vor sich hin. Sie hörte die Tür des Hauses zufallen und hielt den Atem an, sicher, daß Tassburg genauso fürchterlich aufschreien würde wie gestern Kassugai.
    Michail zerriß es fast das Herz, als er im Innern des Hauses die breite Blutspur am Boden sah. Das Messer lag noch immer daneben, auf dem kalten Herd stand ein großer Topf mit rotgefärbtem Wasser. Tassburg stürzte ins Schlafzimmer, aber dort war alles unversehrt, so, als habe es niemand betreten. Er lief zurück in den großen Wohnraum und starrte auf das Blut.
    Es muß alles sehr schnell gegangen sein, dachte er und riß sich das Hemd auf der Brust auf. Es war, als würge ihn jemand. Kein großer Kampf – und doch drei Tote. Wer sind die Toten?
    Er ging zum Tisch, auf dem noch Natalias Sonnenblumen in dem Blechbecher standen, die Blumen, die sie für ihn am frühen Morgen gepflückt hatte … Er wollte sich setzen, als er hinter dem Tisch, lang hingestreckt auf der Bank, Natalia liegen sah.
    Sie lag auf der Seite, das lange Haar bedeckte ihr Gesicht, ein Arm hing schlaff herunter.
    »Natalia …«, stammelte Michail. »Diese Hunde! Diese verdammten Hunde! Haben sie dich einfach liegen lassen …«
    Er stieß den Tisch weg, kniete neben ihr nieder und hob ihr Haar hoch. Ihr Gesicht war bleich, aber nicht blutleer, und sie atmete.
    Es war ein Augenblick, in dem Tassburg bereit war, Gott, von dem er bisher nicht viel gehalten hatte, auf den Knien zu danken. Ganz vorsichtig drehte er Natalia auf den Rücken, legte ihren Arm auf die Brust und tastete sie ab. Auf der Stirn klebten noch Blutflecken, an die hatte sie nicht gedacht, als sie die Hände in das heiße Wasser tauchte. Diese Hände, Michail sah es jetzt, waren rot und geschwollen, und Tassburg begriff, warum das Wasser im Kessel wie Blut aussah.
    Er ging zum Herd, goß das Wasser in einen Eimer und füllte aus einer Kanne frisches nach. Mit einem nassen Lappen kam er zurück und wischte sorgfältig Natalias Gesicht ab. Was ist hier passiert? dachte er. Wer hat Kassugai getötet? Natalia lebt, sie ist unverletzt, und das Haus ist leer. Das ist doch unmöglich! Sie liegt hier

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