Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
schwor, in Zukunft alle Gräber wieder auf konventionelle Art auszuheben.
Anschließend blieb Vitali liegen, das Gesicht in den Händen verborgen, und wagte nicht, den Kopf zu erheben und die Kirche anzusehen. Seiner Ansicht nach mußte sie weggepustet worden sein. Wie durch einen dicken Vorhang hörte er dann Jefims Diskant: »Die Welt geht unter! Wir sind alle verflucht! Die Hölle will uns verschlingen!«
Vom Haus des Dorfsowjets ertönte eine Alarmsirene, die mit Preßluft in Betrieb gesetzt werden mußte, weil es in Satowka noch kein elektrisches Licht gab. Die Leitungen von Batkit aus lagen seit zwei Jahren dreißig Werst entfernt im Wald. Dort hatte man den letzten Mast errichtet, die Drähte zusammengewickelt und anscheinend vergessen. Ab und zu hörte man vom zuständigen Beamten in Batkit, man wolle die Leitung weiterbauen, aber irgendwie mußte die Elektrifizierung Satowkas nicht im Programm, im ›Plan‹ enthalten sein …
Die Sirene quäkte also, die Bauern rannten herbei, und man sah über der Kirche die große Staubwolke, die sich nur allmählich verteilte.
»Der Teufel hat zugeschlagen!« schrie die Witwe Anastasia. »Er hat die Kirche vernichtet! Betet, Leute, betet, wir sind am Ende!«
Tigran erreichte sein geweihtes Haus, dem das halbe Dach fehlte. Sehen wir davon ab, den Friedhof zu schildern, auf dem vier Riesenkrater gähnten und viele Gräber ruiniert waren – von der Kirche waren alle Fenster zerstört, das Pfarrhaus hatte keine Türen und Fenster mehr, und die Druckwelle von zwölf Stangen Dynamit hatte sogar die riesige Pappel geknickt, die wie ein Wahrzeichen vor der Kirche gestanden hatte. Kein Taigasturm hatte das bisher vermocht; Gasisulin hatte es mit seinen kleinen bläulichen Flämmchen spielend erreicht.
»Hinweg, Satan!« brüllte Tigran, als er die Verwüstungen überblickte. »Hinweg!« Aber dann sah er die vier Krater im Friedhofsboden und begriff sehr schnell, was hier wirklich geschehen war.
»Meine schöne Kirche!« rief er dramatisch aus und raufte sich den langen schwarzen Bart. »Vernichtet! Geschändet! Abgedeckt! Und mein Haus! Der Wind kann hindurchblasen wie durch einen löchrigen Käse! O ihr Gläubigen, öffnet eure Taschen!«
Sie erschlagen mich, dachte Gasisulin angstvoll. Sie hängen mich auf! O Gott, was habe ich angerichtet. Jetzt sollen sie alle zahlen, und ich habe den Schaden angerichtet. Für jede Kopeke einen Tritt … wer soll das aushalten?
Noch sah ihn niemand, weil alle vor der Kirche zusammengelaufen waren. Deshalb versuchte er davonzukriechen, zur Rückseite der Kirche hin. Dort rollte er sich hinter die Bohnenhecke, die Tigran voller Stolz jedes Jahr hochzog, zwei Säcke davon erntete und sich im Winter zweimal wöchentlich eine Bohnenmahlzeit gönnen konnte.
Erst dann, im Schutze des verwelkten Bohnenkrautes, richtete er sich auf, klopfte die Erde von seinem Anzug und rannte andersherum um die Kirche. Er schloß sich dem Trupp an, der gerade herankam, und rief sofort: »Die schöne Kirche! Unsere schöne Kirche! Was ist geschehen, Genossen?«
Der Pope Tigran beendete die allgemeine Aufregung mit der Aufforderung, nach Hause zu gehen, Werkzeuge zu holen und mit den Ausbesserungsarbeiten zu beginnen. Dann packte er den armen Gasisulin am Kragen und trug ihn wie eine nasse Katze ins Innere des heiligen Hauses.
Dort setzte er ihn recht unsanft hinter der Ikonostase auf einen Schemel und gab ihm als Einleitung eine schallende Ohrfeige. Da es hinter den Rücken der Heiligen geschah, hatte Tigran keine Gewissensbisse.
»Väterchen, ich gestehe …«, stammelte Vitali Jakowlewitsch. »Aber keiner hat mich gewarnt! Drei dünne Stäbchen – und diese Wirkung! Woher soll ich wissen, daß es möglich ist, in drei Pappfingerchen eine solche Wucht von einer Sprengladung zu packen?«
»Es war Dynamit, nicht wahr?« fragte Tigran drohend. »Hast du kein Hirn? Drei Stangen für die Gräber, das ist ja Wahnsinn!«
»Es … waren zwölf, Väterchen«, stammelte Gasisulin. »Für jedes Grab drei …«
»Dann haben wir soeben ein Wunder erlebt!« sagte Tigran feierlich. »Die Kirche steht noch, mein Haus steht noch, es gibt noch das Dorf Satowka! Vitali Jakowlewitsch, weißt du, was man mit zwölf Stangen Dynamit alles in die Luft sprengen kann?«
»Nein, Väterchen.«
»Eben! Mit den Idioten ist Gott! Ich habe keine Angst mehr um Satowka!«
Es wurde ein merkwürdiges Begräbnis an diesem Nachmittag. Während einige Bauern auf dem Kirchendach
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