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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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häßliche Erde! Und nun bin ich doch hier …«
    »Die Erde ist schön, Natalia! Die schwarzen Wälder der Taiga, die Seen im schimmernden Licht der goldenen Sonne, die silberhellen Flüsse mit den Stromschnellen, der unendlich blaue Himmel – die Sonnenblumenfelder, die Steppe, wenn sie im Frühjahr blüht, die Schluchten der Gebirge, die Schilfmeere der riesigen Sümpfe … all das ist von einer wahrhaft göttlichen Schönheit. Natalia, unser Rußland ist ein ewiges, nie endendes Gedicht …«
    »Wenn es keine Menschen gäbe, Michail …«
    »Du und ich sind auch Menschen! Wir werden unsere eigene kleine Welt bauen, so schön, wie wir sie haben wollen.«
    »Die anderen werden es nicht zulassen. Und wenn wir sie gebaut haben, kommen die Menschen und zerstören sie. Ich kenne das.«
    »Du bist ja auch so schrecklich alt und weise«, sagte er mit leichtem Spott.
    »Ich habe Kassugai getötet, Michail.«
    »Denk nicht mehr daran. Es hat nie einen Kassugai gegeben! Er wird in Satowka verschwinden – spurlos.«
    »Man wird ihn suchen …«
    »Er ist nie hier gewesen!«
    »Wie ist es möglich, daß ich einen Menschen töten konnte? Wer bin ich, Michail?«
    Es kam wieder über sie. Ihre Augen wurden starr, ihr Körper, nackt unter der Decke, streckte sich und wurde steif. Kalter Schweiß perlte über ihr Gesicht.
    Tassburg holte wieder das nasse Handtuch, wischte ihr das Gesicht ab, schlug die Decke zurück, und legte das kühle Tuch über ihren Leib. Sie sah ihn ausdruckslos an. Ob sie begriff, daß sie völlig entblößt vor ihm lag? Vielleicht vermischte sich die Angst, ihm wehrlos ausgeliefert zu sein, mit dem furchtbaren Schock, der ihre Nerven entzündet hatte?
    »Du mußt etwas trinken«, sagte Michail und beugte sich tief über sie. »Heißen Tee mit Wodka! Ich weiß nicht, ob das gut ist, aber irgend etwas müssen wir tun! Natalia, Liebling, ich lasse dich nie mehr allein! Ich liebe dich, wie ich es nie für möglich gehalten hätte …«
    Er holte hastig den Becher, stützte ihren Kopf und flößte ihr vorsichtig den Tee ein. Sie versuchte zu schlucken, es gelang nur kläglich, aber etwas von dem Tee mit Wodka bekam sie doch herunter.
    Sie schien es wie einen Feuerstrom zu spüren, der ihr durch die Kehle rann. »Nicht!« stammelte sie und versuchte, seine Hand mit dem Becher wegzuschieben. »Ich verbrenne! Ich verbrenne!«
    Dann wurde sie schlaff in Tassburgs Armen und sank in das Kissen zurück. Die kurze Rückkehr in das Leben war vorbei … das Dunkel ihrer Ängste umgab sie wieder.
    Michail deckte sie zu, rannte zum Fenster und blickte hinaus.
    Draußen saßen oder standen noch immer die Bauern, den Popen in ihrer Mitte, und warteten. Warum kommt Petrow nicht zurück, dachte Tassburg voller Panik. Warum kommt Konstantin nicht mit der Arztkiste? So weit ist das Lager doch nicht entfernt. Irgendein Mittel gegen Fieber oder zur Beruhigung wird doch in der Reiseapotheke sein, irgend etwas muß doch helfen! Wenn es Natalia morgen oder übermorgen besser geht, fahre ich selbst nach Batkit und hole den Arzt …
    Und dann? Ja, was dann?
    Er trat vom Fenster zurück und blickte Natalia an. Sie atmete jetzt heftig und kurz.
    Tassburg überlegte. In spätestens vier Wochen war der Winter da. Das sah man nicht nur, das roch man sogar schon. In den Nächten wehte schon Kühle von Norden und Osten her, die wildbunten Blätter der Laubbäume regneten herab, die ›flammende Taiga‹, wie man hier den Herbst nannte, würde in diesem Jahr nur ganz kurz sein.
    Ein paar kalte Tage, ein heftiger Wind, der alles leerfegte, dann würde über Nacht der erste Schnee fallen. Die Regentage, die sonst im Herbst alles in eine Schlammwüste verwandelten, sollten dieses Jahr ausfallen, behauptete der Meteorologe, der zu Tassburgs Trupp gehörte. Er war einer der wenigen Wetterkundler, die Tassburg kannte, dessen Voraussagen stimmten. Trafen seine Prognosen ein, so wurde eine Flasche Wodka spendiert, aber der Meteorologe sah das nicht als Ehrung, sondern als Beleidigung an. »Wartet nur ab!« sagte er böse und trank seinen Wodka. »Spottet nur! Wenn euch der erste Frost den Hintern abfriert, lacht ihr nicht mehr! Es wird früher als sonst Winter werden!«
    Winter … das waren Monate seliger Einsamkeit mit Natalia … Tassburg konnte sich ausrechnen, daß die Zentrale mit einem solchen Stillstand nicht einverstanden sein würde. Man würde mit eisfesten Hubschraubern in die Taiga fliegen, um nachzusehen, ob es tatsächlich unmöglich

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