Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
armen Idioten. »Der Kirche ein Auto wegzukaufen! Fahr mit ihm in die Hölle!«
»Ich will ja gar nicht fahren«, sagte Jefim kläglich. »Ich will es im Garten aufstellen wie eine Laube. Den ganzen Sommer über kann man darin weich schlafen. Wer sagt denn, daß ich fahren will?«
Gegen dieses Vorhaben war man machtlos. Petrow und Tigran verhandelten nur noch um eine abwechselnde Benutzung des Autos, und als Jefim dem zustimmte, küßte jeder ihm die Wangen, nannte ihn einen guten Menschen und begleitete ihn nach Hause.
Tatsächlich hatte er unter seiner Strohmatratze einen Leinensack mit 53 Rubeln versteckt – die Ersparnisse von 24 Jahren. Er zahlte 40 Rubel in Petrows Hand, und der versprach, den Wagen so schnell wie möglich zu Jefims Hütte bringen zu lassen. Dem Popen versprach der Dorfsowjet einen neuen Kerzenleuchter.
So war in Satowka der Friede wiederhergestellt – wenigstens vorläufig.
Konstantin, der Arbeiter mit der verletzten Hand, hatte die Reiseapotheke persönlich aus dem Lager gebracht. Tassburg nahm ihn vor dem Haus in Empfang und trug Konstantin auf, dem Bohrtrupp in der Taiga über Funk zu melden, sie müßten auf ihn verzichten – mindestens eine Woche lang – und der Chefgeologe Pribylow sollte inzwischen das Kommando übernehmen. Nur in dringenden Fällen möchte man ihn stören. Einen Fieberkranken soll man in Ruhe lassen.
Konstantin wiederholte alles, wünschte dann dem Genossen Tassburg alles Gute und lief zum Lager zurück, um den Genossen in der Taiga das Neueste zu melden.
»Es ist nicht viel, was ich habe«, sagte Michail zu Natalia, nachdem Konstantin gegangen war. Er hatte den Arzneikoffer aufgeklappt und wühlte in den Medikamenten herum. Die üblichen Präparate gegen Malaria, Durchfall, Fieber, Magenverstimmung und Kreislaufschwäche waren darin, aber zur Dämpfung eines Nervenschocks war natürlich nichts vorhanden. Wer in der Taiga nach Erdgas sucht, darf keine Nerven haben.
»Ich nehme nichts …«, sagte Natalia schwach.
»Du mußt zur Ruhe kommen, Liebling!«
»Nicht durch Medizin. Wirf es weg!« Sie drehte den Kopf zu ihm, ihre großen Augen bettelten. Tassburg sah, wie schwer ihr das Sprechen fiel. Jedes Wort schien wie eine Zentnerlast zu sein, die sie von sich wälzen wollte. »Komm zu mir«, bat sie leise. »Leg dich neben mich. Halt mich fest, dann werde ich ruhig … nur dann … O Mischa, Mischa … halt mich ganz fest …«
Er tat, worum sie ihn bat, und sie nickte glücklich, schob den Kopf näher zu ihm und schloß die Augen.
»So ist es gut«, flüsterte sie. »Spürst du, wie ich ruhiger werde …«
»Ich spüre es, Natalia.« Er log, ihr Körper zitterte wie vordem, aber sie schien es nicht mehr zu empfinden. »Morgen ist alles vorbei!«
»Morgen!« Sie lächelte mit geschlossenen Augen. »Dazwischen liegt die Nacht. Ohne dich überlebe ich sie nicht. Wie wunderbar, daß du bei mir bist, Mischa …«
In diesem Augenblick explodierte Gasisulins erste Dynamitladung.
Mit einem gellenden Schrei fuhr Natalia hoch.
Tassburg hatte alle Mühe, sie auf dem Bett festzuhalten. Sie schlug um sich, ihr Gesicht war verzerrt, und sie wimmerte, als er sie mit Gewalt in das Kissen zurückdrückte.
»Wo ist mein Messer? Gib mir das Messer! Ich will nicht wehrlos sterben!«
Gasisulins zweites Grab explodierte mit einem noch stärkeren Knall als das erste. Der Boden bebte, die dicken Holzwände der Hütte schwankten.
»Das sind Kassugais Leute!« schrie Natalia und bäumte sich auf. »Sie sprengen das ganze Dorf in die Luft! Oh, du kennst sie nicht, Michail! Teufel sind es! Wahre Teufel! Sie werden auch zu uns kommen. Töte mich! Bitte, bitte … töte mich!«
Sie rutschte auf die Erde, umklammerte seine Knie und drückte den Kopf in seinen Schoß. »Laß mich nicht lebend in ihre Hände fallen, Michail!« schrie Natalia wieder. »Du weißt nicht, was sie mit mir anstellen.«
Tassburg wußte es genau … es gehörte wenig Phantasie dazu.
Er befreite sich aus Natalias Armen, lief zu einem Schrank und holte sein Schnellfeuergewehr heraus. Es lag immer schußbereit auf den Zeichenrollen, für deren Aufbewahrung der Schrank gedacht war.
Die dritte Explosion ertönte, von noch lauterem Geschrei aus dem Dorf begleitet. Tassburg stürzte ans Fenster. In der Nähe der Kirche stand eine dunkle Wolke aus Erde und Staub unter dem blauen Himmel. Es war eine typische Sprengwolke, von denen Tassburg schon viele gesehen hatte.
»Sie sind bei der Kirche!« schrie er
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