Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
brauche ich eine Motorsäge?«
»Der Kerl lügt in der Kirche!« schrie der Pope. »Der Küster! Der Totengräber! Der Sargmacher! Der Friedhofsgärtner! Der Schwachkopf, der ganze Kirchendächer in die Luft sprengt, wenn er Gräber ausheben will! Er lügt! Gasisulin, der Genosse Doktor verabreicht nur Klistiere mit Seifenwasser, aber ich werde dich zwingen, das geklaute Benzin bis auf den letzten Tropfen zu trinken! Weißt du, was dann aus dir wird, wenn du zum Beispiel Gott um Verzeihung bittest und dabei eine Kerze anhauchst?«
Gasisulin hatte die Gräberexplosion noch in bester Erinnerung, zumal er Tag für Tag an der Reparatur des Kirchendaches arbeiten mußte. Er ließ es deshalb gar nicht darauf ankommen, mit dem Popen zu streiten. Er nickte gottergeben und faltete die Hände.
»Das Benzin kommt zurück, Väterchen!«
»In den Tank des Autos?«
»Alles?«
»Alles!« donnerte Tigran. »Du Dieb! Was habt ihr von der christlichen Erziehung eigentlich noch behalten?«
»Nirgendwo in der Bibel steht etwas von Benzin«, sagte Gasisulin treuherzig.
»Aber das Gebot: Du sollst nicht stehlen!«
»Stehlen kann man doch nur einem Menschen etwas …« Gasisulin betrachtete die Ikone des heiligen Ilarion nachdenklich. »Das Benzin aber gehört einem Motor … ist Motor ein Mensch?«
»Der Motor gehört dem Auto«, antwortete Tigran unwirsch.
»Aha!«
»Und das Auto gehört dem Genossen Dr. Plachunin. Ist das kein Mensch?«
»Wenn man es so sieht …«, versetzte Gasisulin gedehnt. »So um drei Ecken herum … dann gehört eigentlich alles auf Erden den Menschen!«
»So ist es!«
»Und das ist Kommunismus, Väterchen?«
Tigran Rassulowitsch erkannte mit Schrecken, daß seine Bauern ideologisch wendiger waren, als er immer angenommen hatte. Er gab auch Gasisulin als Antwort einen gewaltigen Tritt; der kleine Sargmacher schoß aus der Kirche und war froh, so glimpflich davongekommen zu sein.
In der folgenden Nacht montierte Jefim das Lenkrad wieder an die Lenksäule von Dr. Plachunins Auto, und ein wenig später schlich Gasisulin heran und goß mit einem Trichter das Benzin in den Tank zurück.
Aber, wie gesagt, es war schon zu spät.
Während Jefim das Lenkrad brachte, wehte bereits ein eisiger Wind von Osten her über die Taiga. Und als Gasisulin das Benzin einfüllte, begann es zu schneien. Der Himmel öffnete sich und dicke feste Flocken fielen herunter. Die erste Schicht schmolz zwar noch auf der Erde, aber schon die zweite Schicht blieb liegen, und nach einer Stunde war das ganze Land weiß.
Der Winter war tatsächlich ohne Übergang gekommen, so wie es für dieses Jahr vorausgesagt worden war. Kein Regen … keine Schlammperiode … Väterchen Frost stapfte ohne Vorwarnung über das Land.
Dr. Plachunin, der gegen Morgen aufwachte, um die Toilette aufzusuchen, die an das Popenhaus angebaut war, fluchte schauerlich und war so unchristlich, Tigrans Schlafzimmer ohne anzuklopfen zu betreten.
Der Pope lag allein im Bett, aber das erst seit zwei Stunden. Anastasia pflegte fortzuhuschen, noch bevor die ersten Hähne erwachten.
»Es schneit!« schrie der kleine Doktor. Tigran fuhr auf und setzte sich verstört in die Kissen. »Es schneit! Wie aus Kübeln! Man sieht kaum das nächste Haus!«
»Ein Jahr ohne Winter gibt es nicht, mein Freund«, antwortete der Pope weise.
»Dafür bekommen Sie ein Klistier extra!« Plachunin hieb zornig auf das hohe Fußende des riesigen Holzbettes. »Wie komme ich jetzt hier weg? Bei diesem Schneetreiben kann niemand fahren, das wissen wir alle. Und wie lange kann das dauern?«
»Das weiß Gott …«
»Er nicht allein! Ich auch! Drei, vier Wochen, bis alles im Schnee begraben ist! Und wer schaufelt die Straße nach Batkit frei? Keiner! Soll ich hier überwintern, Tigran Rassulowitsch? Gut! Ich tue es! Ich bleibe den ganzen Winter über hier! Ich kümmere mich um Sie! Ich behandele Ihre Leber! Ich operiere die Prostata des alten Wassutinski und das Myom der lieben Kusowkina! Das wird ein Fest! Ihr habt mich hergelockt … Wenn ihr mich wieder loswerden wollt, so laßt euch etwas einfallen!«
Es war ein Morgen, an dem Tigran früher als sonst in der Kirche war und betete. »Laß es wieder tauen, Herr«, sagte er demütig. »Nur einen Tag lang, damit Plachunin abfahren kann. Wenn es dann wieder schneit, während er unterwegs ist, dann ist das höhere Fügung! Herr, schicke du für ein paar Stunden einen kleinen warmen Wind! Nur für ein paar Stündchen … Es macht dir
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