Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
und gut sein, was wir tun. Wir haben uns verändert, Mischa, und nun schneit es auch noch. Wie kalt es geworden ist … Ich friere … Ich werde immer frieren ohne dich …«
Erst jetzt sah er, daß sie die Jacke des Pyjamas aufgeknöpft hatte. Bevor er es noch ganz fassen konnte, schlang sie die Arme um seinen Nacken und drückte seinen Kopf gegen ihre bloßen Brüste. Seine Lippen berührten ihre glatte Haut, er spürte die weiche Wärme ihres Körpers …
»Ich liebe dich, Mischa«, sagte sie, kaum hörbar. »Mischa, ich habe Angst davor, aber ich liebe dich! Wenn ich schreie, hör nicht darauf. Ich werde schreien, Mischa – ich werde ›Mischa! Mischa!‹ schreien … Es schneit. Der Schnee wird uns begraben. Wir haben nur noch uns. Es gibt nur noch dich …«
»Und dich, Natalia. Nur noch dich …«
»Wie winzig kann diese große Welt werden …«
Und es schneite, schneite, schneite …
Am Abend erst gelang es dem Arbeiter Konstantin, vom Lager am Dorfrand bis zu dem ›Leeren Haus‹ vorzudringen und Tassburg vor die Tür zu rufen. Näher an das Haus heranzugehen, wagte er nicht, nach allem, was hier schon geschehen war. Der Genosse Ingenieur schien der einzige zu sein, der gegen den Geisterzauber gefeit war. Aus dem Kamin quoll dicker Rauch und es roch nach Braten – ein sicherer Beweis, daß sich Tassburg von der Gräfin Albina nicht unterkriegen ließ. Der Pope Tigran behauptete ja, es sei allein die Wirkung seines Hostienbreis, mit dem sich Tassburg jeden Abend einreibe wie mit einer Schönheitscreme …
»Meldung von der Außenstelle!« rief Konstantin, als Tassburg in der Tür erschien. Er trug einen Wettermantel aus Gummi und darüber noch eine Zeltplane. Im Schneetreiben war er kaum zu erkennen. »Man bricht die Bohrungen ab und montiert die Schneepflüge vor die Lastwagen. Wenn sie nicht zurückkönnen, wird Basis zwei benachrichtigt! Die Meteorologen rechnen damit, daß es acht Tage schneien wird.«
»Rufen Sie den Bohrtrupp zurück, Konstantin. Sie sollen draußen bleiben, so lange es geht. Sobald der Schneefall nachläßt, kommt von Basis zwo per Hubschrauber das Wintergerät.«
»Ich gebe es durch, Genosse Ingenieur!« Konstantin schüttelte die Schneelast von sich. »Und wie geht es Ihnen?«
»Danke, besser! Viel besser! Der Doktor ist ein Könner auf seinem Gebiet.«
»Das freut uns alle!«
Konstantin winkte Tassburg zu und rannte dann durch das Schneetreiben davon. Es sah aus, als stürze er sich gegen eine Wand aus weißen Pfeilen.
Tassburg blickte ihm nach. Dann blickte er hinüber zu Anastasias Haus, das er nur schwach erkennen konnte. Die Witwe stand hinter dem Fenster ihres Wohnraums und winkte. Sie schien die Ritzen mit Zeitungspapier zu verkleben.
Er winkte zurück, ging ins Haus und schloß die Tür. Am Herd stand Natalia und drehte auf einem Eisenspieß den Braten über der offenen Flamme. Das in das Feuer tropfende Fett zischte leise.
»In acht Tagen wird ein Hubschrauber landen – und was dann?« fragte Michail.
»Das sind noch acht Tage Glück, Mischa«, antwortete Natalia einfach. »Laß uns nicht darüber sprechen …«
IX
Es schneite sechs Wochen lang, sechs Wochen ohne Unterbrechung. Mal stärker, mal etwas weniger stark, aber es hörte in diesen sechs Wochen niemals ganz auf. Die ganze Welt und der Himmel schienen nur noch aus Schnee zu bestehen.
Dr. Plachunin hatte es aufgegeben, darüber zu fluchen. Er saß mit Tigran im Popenhaus und spielte Schach, hin und wieder nur schlich er zu Michails Haus. Er traf dort zwei so glückliche Menschen an, daß er darauf verzichtete, seine Klagen vorzubringen und rasch wieder wegging. Es sah aus, als müsse Tassburg nun doch in Satowka überwintern, denn durch diese Schneemassen kam keiner mehr durch.
Auch von Batkit würde niemand kommen, um etwa Dr. Plachunin zu holen. Es gibt Krankheiten, bei denen ein Arzt zu spät kommt, und es gibt andere, die keinen Arzt brauchen, weil sie zu geringfügig sind. So einfach rechnete man in Batkit.
Außerdem gab es seit einigen Monaten den jungen Arzt Dr. Tschunowogradij, der sich einarbeiten sollte. Er war plötzlich da, aus Omsk geschickt. Das war der einzige Hinweis darauf, daß Plachunin pensioniert werden sollte – er selbst hatte noch keine Nachricht bekommen. Eins war jedoch sicher: Er wurde nicht vermißt. Seine Patienten atmeten auf … ein paar Monate Ruhe vor Dr. Plachunin, das tat gut! Der Mensch braucht einmal Erholung von seinem Arzt …
Es war wieder am Abend,
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