Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
steif stehen wie eine unbewegliche Puppe.
»Alles, was Sie über Natalia gehört haben, sind Lügen, Tigran Rassulowitsch. Kassugai hat sie von ihren Eltern gekauft gegen eine bessere Arbeitsstelle in einer neuen Fabrik. Es ist unbegreiflich, daß so etwas in unserer Zeit noch möglich ist!«
»Hier ist eben Sibirien, Michail«, warf Tigran ein. »Hier ist die Steinige Tunguska. Was heißt da ›unsere Zeit‹?«
»Wir sind doch alle Kommunisten! Wir kennen die Lehren Lenins! Wir sind doch Kinder der neuen Zeit. Und Sie sind doch auch da – die Kirche! Und Ihr Gott! Aber Kassugai kauft sich ein Mädchen, und keiner hindert ihn daran, es durch die Taiga zu jagen! Wäre ich im Haus gewesen, ich hätte Kassugai auch getötet.«
»Schließen wir das Kapitel ab!« sagte der Pope. »Es hat mich genug Nerven gekostet. Allein das Begräbnis mit Gasisulins gesprengten Gräbern …« Er seufzte tief. »Nun soll ich euch trauen, gut! Wie soll ich euch aber trauen, wenn Natalia noch nicht einmal getauft ist? Kann mir das einer sagen?«
»Dann taufe sie, Väterchen!« erwiderte Dr. Plachunin. »Wir haben Wasser genug da!«
»Wasser!« Tigran winkte ab und blickte Natalia stechend an. Wir wissen es, dieser Blick war in Satowka gefürchtet und von Tigran so vollendet eingeübt, daß er immer einen Erfolg brachte. Bei Natalia prallten diese Blicke ab wie Bälle, die man gegen eine Mauer wirft. »Willst du getauft werden?« fragte der Pope mit röhrender Stimme.
»Ich weiß nicht, was das ist«, antwortete sie.
»Glaubst du an Gott?«
»Ich kenne ihn nicht.«
Tigran hob erst entsetzt beide Hände, dann raufte er sich den langen Bart. »Was soll man da tun?« fragte er und wandte sich mit klagendem Blick an Dr. Plachunin. »Sie kennt Gott nicht!«
»Kennen Sie ihn?«
»Genosse Doktor!« rief Tigran entsetzt.
»Wir haben jetzt keine Zeit, Natalia zu erklären, welche Funktionen Gott hat …«
»Funktionen!« schrie Tigran verzweifelt. »Ist er eine Maschine?«
»Taufen Sie sie! Ich bin Taufpate, der andere ist Michail Sofronowitsch. Ich bin übrigens getauft, Väterchen!«
»Und Sie, Tassburg?« fragte Tigran erschüttert.
»Heimlich!«
»Er ist heimlich getauft! O Herr im Himmel, welch eine Gesellschaft!« Er sah sich um und ging zu dem Tisch, wo seine Wachstuchtasche lag. »Wo kann ich mich umziehen?«
»Im Schlafzimmer.«
Der Pope schritt würdevoll in den Nebenraum und schloß die Tür. Dann lehnte er sich an die Wand, blickte sich um und legte beide Hände vor das Gesicht. Es ist nicht ganz einfach, einen Irrtum von 150 Jahren einzusehen und sich selbst einen abergläubischen Schwachkopf nennen zu müssen …
Im Wohnzimmer erklärte Dr. Plachunin unterdessen Natalia, was eine Taufe ist. Er tat es auf seine eigene, knappe, aber anschauliche Weise:
»Der Pope kommt gleich wieder raus. Er hat bestickte Kleider angezogen, betet dir etwas vor, dann halte ich ihm einen Topf mit Wasser hin, er segnet das Wasser, dadurch wird es heilig – frag mich bitte nicht, wieso! –, dann besprengt er dich mit dem heiligen Wasser und sagt zu dir, daß du nun Gott gehörst!«
»Ich gehöre Mischa«, sagte Natalia laut. »Keinem anderen als Mischa!«
»Das wird auch nie jemand bestreiten! Also – er besprengt dich mit Wasser, weniger als ein paar Regentropfen, und gibt dir deinen Namen, den du schon hast. Sag jetzt nicht, das sei blödsinnig … es ist eben so! Danach bist du getauft, ein Kind Gottes, und dann wird geheiratet nach dem Ritus der Kirche.«
»Warum?«
Die einfachsten Fragen werfen den Klügsten um! Auch Dr. Plachunin starrte Tassburg entgeistert an. »Ja, warum eigentlich?«
»Die Idee mit der Trauung kam von Ihnen!« sagte Tassburg rasch.
»Von mir?« Plachunin setzte sich auf einen Hocker. »Ach ja! Wegen des eventuellen Ausfliegens. Ein Ehepaar mit kirchlichem Zeugnis! Ich will Sie ja sumpffieberkrank machen, Menschenskind!« Dann sah er hinüber zu Natalia. »Warum – fragt sie da noch! Gibt es hier einen Heiratspalast wie in Omsk? Soll Petrow, der es als Dorfsowjet darf, euch trauen? Was soll man ihm sagen, wo du herkommst, he?«
»Das wird überhaupt das schwierigste Problem«, meinte Tassburg nachdenklich. »Irgendwann muß Natalia ja in Satowka auftauchen.«
»Auch das schaffen wir noch! Man wird zwar scheel blicken bei einer kirchlichen Trauung, aber das kann man abbiegen, wenn ihr erst in Omsk seid. Dann geht's nachträglich zum Heiratspalast mit weißem Schleier!«
Er schwieg abrupt, denn
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