Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Halbdunkel der Propangaslampe stand nur Michail Sofronowitsch Tassburg und winkte, einzutreten. Dr. Plachunin ließ dem Popen den Vortritt.
»Warum ich?« fragte er zurück. »Immer ich!«
»Sie sind die Hauptperson, Tigran Rassulowitsch!«
Der Pope betrat das verfluchte Haus und erwartete, daß sofort die Teufel über ihn herfielen.
Aber es geschah nichts. Tassburg schloß hinter dem Doktor die Tür, und das Zuknallen war der einzige Laut. Der Pope erschrak dennoch, ihm war, als habe er einen Tropfen Teufelsspucke ins Gesicht bekommen. Er starrte Tassburg an, der einen schönen, blauen Anzug trug, ziemlich modern, soweit das Tigran beurteilen konnte, dazu ein weißes, sauberes Hemd und eine schwarze Krawatte.
»Gehört diese Aufmachung zur Taiga-Ausrüstung für Geologen?« fragte er als erstes und zeigte mit dem Kreuz auf Tassburgs Anzug. »Und einen Schlips hat er auch um! Ich wette, daß kaum jemand in Satowka weiß, was das ist. Jeder würde sich das schwarze Ding als Gürtel um den Bauch binden und fluchen, daß es zu kurz ist. Aber er trägt es vorschriftsmäßig um den Hals! Und das in der Taiga!«
»Ich habe immer einen dunklen Anzug bei mir«, sagte Tassburg und hob die Propangaslampe hoch. »Ich habe ihn oft brauchen können. Vor allem bei Beerdigungen … ich habe schon manchen in der Taiga begraben müssen.«
»Und jetzt heiratet er!« sagte Dr. Plachunin fröhlich.
»Das ist in diesem Fall fast das gleiche!« stöhnte Tigran. »Michail Sofronowitsch, wo ist … die Braut?«
»Sie wartet im großen Zimmer auf uns.«
»Sie hat sich … nicht verändert?«
»Doch! Wieso?« Tassburg sah Tigran verblüfft an.
»Er meint, hundertfünfzig Jahre seien eine lange Zeit, auch für die Gräfin Albina!« Dr. Plachunin kicherte wie ein Faun. Für ihn war das Ganze ein Spaß, dem man kaum je wieder begegnet. »Aber Gespenster altern nicht, habe ich recht?«
Er blinzelte Tassburg listig zu, und Michail Sofronowitsch verstand ihn.
»Sie sieht tatsächlich zauberhaft aus!« sagte er. »Tigran Rassulowitsch, auch Sie werden Ihre Freude an ihr haben!«
Der Pope bezweifelte das stark. Er warf die Decke von sich, atmete hörbar ein und stieß dann die Luft mit einem schweren Seufzer wieder aus. »Gehen wir!« sagte er entschlossen.
Er machte zwei Schritte zur Tür des Wohnzimmers und blieb wieder stehen. Dann fragte er: »Trägt sie ein Messer in der Hand?«
»Nein. Einen Strauß aus Papierblumen.«
»Totenblumen!« sagte Plachunin dumpf. Er wußte, er traf damit den Popen mitten ins Herz. Ein Vergnügen war's, mitanzusehen, wie sich Tigrans Bart sträubte.
»Der Bräutigam geht voraus!« sagte er zögernd.
»Seit wann?« fragte Plachunin teuflisch.
»Immer!« donnerte der Pope und knirschte mit den Zähnen. »Sie haben nie geheiratet, Ostap Germanowitsch!«
Tassburg öffnete die Tür. Blendende Helligkeit schlug ihnen entgegen. Tassburg hatte alle verfügbaren Lampen aufgestellt, um den Raum festlich zu beleuchten. Tigran blinzelte in das helle Licht und hob zur Vorsicht sein Kreuz. Seine Nasenflügel blähten sich, aber er konnte nichts riechen, was Schwefel ähnlich war. Dafür duftete es köstlich nach Braten und Kohl, ein Geruch, der ihm schon im Flur aufgefallen war. Es war ein Duft, der ihn begeisterte, denn außer Gebeten kannte Tigran noch ein zweites, was ihm geradezu heilig war: ein gutes Essen. Wenn es dann zum Nachtisch noch eine schmucke Witwe gab, konnte man das Leben vollkommen nennen …
»Da steht die Braut!« sagte Dr. Plachunin und stieß Tigran an. »Wenn ich sie ansehe, könnte ich alter Mann meiner Jugend nachweinen.«
Der Doktor hatte recht. Man kann auch zerlumpte Kleidung zu einem Festgewand machen, wenn Liebe die Phantasie beflügelt.
Natalia hatte die Haare mit einem roten Nylonband hochgebunden, das Tassburg sonst für Vermessungsarbeiten brauchte. Auf ihren alten Rock hatte sie Rosen aus rotem und schwarzem Papier genäht. Es war Durchschlagpapier für die Schreibmaschine, aus ihm hatte Natalia mit geschickten Fingern die Rosen gefaltet.
»Papierrosen haben wir oft gemacht!« hatte sie gesagt. »Für Veranstaltungen der Jugendgruppen, für Hochzeiten und Beerdigungen. Wir haben es in der Schule gelernt.« Sie hatte eine fertige Rose hochgehalten und hatte so glücklich ausgesehen, wie nur ein verliebter Mensch aussehen kann. »Ist sie nicht wie eine echte Rose?«
Und Tassburg hatte sie genommen, daran gerochen und sie ihr ins Haar gesteckt. »Sie duftet sogar …«,
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