Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Haus …«
»Sechsmal …? Sie …? Und Sie leben …«
»Sitzt hier ein Gespenst bei Tisch?«
Das Mittagessen mußte unterbrochen werden, Tigran war zu erschüttert, um weitere Nahrung zu sich zu nehmen. Er ging in die Kirche, betete vor jeder Ikone und war, als er beim heiligen Polykarp angekommen war, innerlich so gefestigt, daß er sich bereit erklärte, mit Dr. Plachunin nachts um zwölf Uhr in das verfluchte ›Leere Haus‹ zu schleichen.
»Und wer ist die Braut?« fragte der Pope den Arzt. »Mein Gott, soll ich wirklich einen Geist, der seit hundertfünfzig Jahren tot ist, mit einem Lebenden vermählen? Wer soll das aushalten?«
»Warten Sie's ab, Tigran Rassulowitsch!« sagte Dr. Plachunin und stellte fest, daß der Pope bei aller Verschlagenheit keinen besseren Wein organisiert hatte als Tassburg. »Ich garantiere Ihnen eine Trauung, wie Sie sie nie wieder erleben werden!«
»Da pflichte ich Ihnen schon im voraus bei!« Tigran Rassulowitsch faltete die Hände unter seinem langen, schwarzen Bart. »Aber Sie sollen nicht sagen, ich sei ein Feigling. Ich trete sogar dem Teufel persönlich gegenüber! Schlimmer als Sie kann er auch nicht sein …«
Ein Schneesturm, der durch Satowka tobte und um die Dächer heulte, als seien tausend böse Geister losgelassen, war so gnädig, des Popen Auszug zu einer Gespenstertrauung zu verhüllen. Bei diesem Wetter war niemand mehr auf der Straße, nachts um 12 Uhr sowieso nicht bis auf den Posten, der das ›Leere Haus‹ bewachen sollte, aber der vor dem Schneegestöber zu Anastasia geflüchtet war und schon lange friedlich schnarchend auf der Ofenbank lag, warm und glücklich.
Hole der Teufel das verdammte Spukhaus! Warum noch bewachen? Entweder krepierte der Herr Ingenieur oder er überlebte … was hatte man da für einen Einfluß? Ob man davor stand und das Haus anglotzte, änderte das etwas?
Dr. Plachunin und Tigran Rassulowitsch rannten durch das Schneetreiben, hatten Decken über die Köpfe gezogen und stemmten sich gegen den eisigen Wind. Dabei hatte es der kleine Arzt leichter als der große Pope – Dr. Plachunin bot kaum eine Angriffsfläche, rannte praktisch unter dem Wind her und hüpfte wie ein Gummiball über die Verwehungen, die ihnen im Weg lagen. An dem riesigen Popen jedoch zerrte der Sturm, blähte seine Soutane und hieb auf ihn ein, daß er keuchte und röchelte und schließlich erschöpft durch den Vorgarten schwankte, zur Hintertür, die Dr. Plachunin schon erreicht hatte. Hier war Windschatten, eine wahre Wohltat, und Tigran riß die schneeverkrustete Decke vom Kopf.
»Der richtige Schneesturm für eine Teufelshochzeit!« schrie der Pope Dr. Plachunin an. »Da jagt man keinen räudigen Hund hinaus …« Er holte das große Brustkreuz hervor und hielt es gegen die Tür. An seinem linken Arm hing eine Tasche aus Wachstuch, in der er die heiligen Geräte für die Trauung aufbewahrte. Dr. Plachunin nannte sie abschätzig ›des Popen Instrumente‹. Es waren: ein Weihwasserkessel, eine Hostienschale, zwei kleine Kronen aus Messingblech, die aber dem Gold täuschend ähnlich sahen, des Popen Festtags-Kamilawka – das ist eine hohe, runde Kopfbedeckung – und die üppig bestickte Risa, das große Schultertuch der orthodoxen Priester. Den Gürtel und das Epitrachelion, eine Art Stola, hatte er schon umgebunden. Er klopfte mit dem Kreuz den Schnee von sich und nickte dem Arzt zu.
»Begehren Sie Einlaß, Doktor!« sagte Tigran feierlich. »Ich bin gerüstet!« Er holte noch einmal tief Atem und dachte an Christus, der auch in der Wüste dem Teufel gegenübergestanden hatte. Wenn man das so liest, dachte er, hört sich das ja ganz gut an, aber wenn man selbst in die Lage kommt, schlägt einem doch das Herz. »Haben Sie die Braut wirklich gesehen, Ostap Germanowitsch?«
»Ja!«
»Und gesprochen?«
»Auch das!«
»Es gibt noch Wunder!«
Dr. Plachunin klopfte an die Tür, rhythmisch, dreimal hintereinander. Es klang hohl, und auch die Schritte, die sich von innen näherten, klangen wie aus einer anderen Welt. Dabei ließ der Schneesturm plötzlich nach, es schneite nur noch in dicken Flocken, das Heulen des Windes erstarb fast gleichzeitig mit Plachunins Klopfen. Der Pope Tigran nickte mehrmals.
»Wollen Sie noch mehr Beweise?« flüsterte er. »Selbst die Natur zieht sich zurück. Nur wir … o ihr Heiligen, baut ein geweihtes Dach über unsere Häupter!«
Die Tür sprang auf. Tigran hielt sein Kreuz hoch und streckte es weit vor. Aber im
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