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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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welchen Wert doch so ein besonderer Draht besaß. Und dass sich nach Nathalies Abfuhr vielleicht neue Geistesverwandtschaften eröffnen würden.

 
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    Vorwände, die die Beschäftigten fanden, um in Markus’ Zimmer mal den Kopf reinzustecken.
    Ich möchte gern diesen Sommer mit meiner Frau
    Urlaub in Schweden machen.
    Hast du vielleicht ein paar Tipps für mich?
    Hast du vielleicht einen Radiergummi für mich?
    O pardon. Ich hab mich in der Tür geirrt.
    Sitzt du immer noch über der 114?
    Funktioniert bei dir das Intranet?
    Das ist schon eine verrückte Geschichte von
    diesem Schweden, der den Erfolg seiner Trilogie
    nicht mehr erleben durfte, weil er vorher starb.

 
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    Am Nachmittag trafen sich Nathalie und Markus zu einer gemeinsamen Pause auf dem Dach. Das Dach war ihr Unterschlupf geworden, ein geheimer Gang. Ein Blickwechsel genügte, und beiden war klar, dass etwas Außergewöhnliches passierte. Dass sie beide von der Neugier der anderen überwältigt wurden. Sie mussten lachen über diesen Firlefanz und sich in den Armen halten, die schönste Art der Welt, Stille zu erzeugen. Nathalie seufzte, sie wolle ihn am Abend wiedersehen, und wünschte sogar, der Abend wäre jetzt. Schön und süß war die unvermutete Wucht des Augenblicks. Markus wurde verlegen und erklärte, er habe keine Zeit. Welch eine missliche Lage: Während er jede ohne Nathalie verbrachte Sekunde zunehmend als vergeudet betrachtete, konnte er unter gar keinen Umständen das Essen mit seinem Chef ausfallen lassen. Nathalie war überrascht und wagte nicht zu fragen, was er vorhatte. Vor allen Dingen wunderte sie sich, als sie sich plötzlich in einer Wartestellung wiederfand, die sie verletzlich machte. Markus erläuterte, dass er mit Charles essen ging.
    «Er will mit dir essen gehen? Heute Abend?»
    Sie wusste in dem Moment nicht, ob sie lachen oder aus der Haut fahren sollte. Charles konnte doch nicht einfach mit einem Mitarbeiter aus ihrem Team Essen gehen, ohne ihr einWort davon zu sagen. Sie durchschaute bald, dass das Essen nichts mit der Arbeit zu tun hatte. Markus hatte sich bis dahin nicht groß angestrengt zu ergründen, was seinen Chef so aus heiterem Himmel veranlasst haben mochte. Im Grunde leuchtete ihm ein: Mit seiner 114 machte er einen guten Job.
    «Und hat er auch gesagt, warum er mit dir essen will?»
    «Öh … ja … er will mir gratulieren …»
    «Kommt dir das nicht komisch vor? Will er demnächst mit der gesamten Belegschaft Essen gehen, um allen zu gratulieren?»
    «Weißt du, er kam mir so komisch vor, dass mir bei ihm überhaupt nichts mehr komisch vorkommt.»
    «Das stimmt allerdings. Da hast du recht.»
    Nathalie bewunderte Markus’ Art, die Dinge zu sehen. Man konnte sie für naiv halten, aber das war sie nicht. Sie hatte etwas kindlich Sanftmütiges an sich und beinhaltete die Fähigkeit, Situationen anzunehmen, auch die verworrensten. Er ging auf sie zu und küsste sie. Ihr vierter Kuss, die normalste Sache der Welt. Am Anfang einer Beziehung ist fast jeder Kuss eine Analyse wert. Die ersten zeichnen sich scharf in der Erinnerung ab, die späteren beginnen, sich im Getümmel der Wiederholung zu vermischen. Nathalie beschloss, über Charles und seine grotesken Hintergedanken keine weiteren Worte zu verlieren. Markus würde selbst herausfinden, was es mit diesem Dinner auf sich hatte.

 
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    Markus wollte sich umziehen und war deswegen geschwind nach Hause gefahren, mit dem Chef war er ja erst um 21 Uhr verabredet. Wie üblich konnte er sich nicht zwischen diversen Jacketts entscheiden. Und nahm am Ende das, das am professionellsten wirkte. Am seriösesten, um nicht zu sagen am düstersten. Er sah aus wie ein Totengräber, der Ferien machte. Als er wieder in die Schnellbahn eingestiegen war, kam es zu Komplikationen. Die Fahrgäste gerieten bereits in Aufruhr. Es wurden keine Informationen durchgegeben. War ein Feuer ausgebrochen? Hatte sich jemand vor den Zug geworfen? Niemand wusste so recht Bescheid. Im Abteil griff die Panik um sich, und Markus dachte vorrangig daran, dass er seinen Chef warten ließ. So war es. Vor gut zehn Minuten hatte Charles Platz genommen, und nun trank er ein Glas Rotwein. Er war gereizt, äußerst gereizt sogar, denn nie zuvor hatte ihn jemand so warten lassen. Und unter Garantie kein Angestellter, von dessen Existenz er noch am selben Morgen gar nichts gewusst hatte. Gleichwohl, inmitten dieses Verdrusses regte sich ein anderes Gefühl. Das gleiche, das er schon am Morgen

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