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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Manager wuchs. Vielleicht würde man ihn beim nächsten Tarifkonflikt zusammen mit anderen Führungskräften einsperren. Und dann war da noch seine Frau. Die ihn nicht verstand. Sie lag ihm so oft mit finanziellen Angelegenheiten in den Ohren, dass er sie schon mal mit seinen Gläubigern verwechselte. Das alles vermengte sich zu einem faden Kosmos, in dem es nur noch vereinzelte Überreste von Frauen gab, in dem keine mehr Zeit hatte, ihn mit dem Klacken ihrer hohen Absätze zu beglücken. Diese Stille, die Tag für Tag eintrat, war ein Vorbote der ewigen, der Totenstille. Das war der Grund, weshalb der Gedanke daran, dass Nathalie nun mit einem anderen Mann zusammen war, ihn den Boden unter den Füßen verlieren ließ …
    Er sprach ganz offen von alldem. Markus sah ein, dass er auf Nathalie zu sprechen kommen musste. Der Vorname einer Frau, und die Nacht scheint kein Ende nehmen zu wollen. Doch was hatte er schon über sie zu berichten? Er kannte sie ja kaum. Eine Möglichkeit war, Charles kurzerhand zu eröffnen: «Sie täuschen sich … man kann nicht wirklich behaupten, dass wir zusammen sind … Bisher ist das eine Sache von drei oder vier Küssen gewesen … Und wenn Sie wüssten, auf welch eigenartige Weise es dazu gekommen ist …», doch über seine Lippen drang kein Laut. Es fiel ihm schwer, von ihr zu reden, das wurde ihm in diesem Augenblick bewusst. Der Chef hatte den Kopf auf seine Schulter gelegt und ermunterte ihn, sich seine Nathalie-Geschichte von der Seele zureden. Also gab Markus sich Mühe, nun seine Version zum Besten zu geben. Seine Lesart sämtlicher Nathalie-haltigen Momente. Eine Vielzahl von Erinnerungen strömte plötzlich auf ihn ein, damit hatte er gar nicht gerechnet. Flüchtige Augenblicke, die schon lange zurücklagen, die sich weit vor dem Kussimpuls zugetragen hatten.
    Da war ihre erste Begegnung. Beim Vorstellungsgespräch, das Nathalie mit ihm geführt hatte. Sein unverzüglicher Gedanke war: «Mit so einer Frau kann ich nicht arbeiten.» Er hatte keine gute Figur abgegeben, doch sie war angewiesen worden, einen Schweden anzustellen. Markus hatte es also einer Quotenregelung zu verdanken, dass er genommen wurde. Er sollte es nie erfahren. Sein erster Eindruck hatte ihn monatelang verfolgt. Er rief sich noch einmal ins Gedächtnis, wie sie ihre Haare aus dem Gesicht gestrichen und sich hinters Ohr geschoben hatte. Er war fasziniert gewesen von dieser Bewegung. Bei den Teambesprechungen hatte er gehofft, sie würde es wieder tun, aber nein, die Anmut dieser Geste blieb einmalig. Er erinnerte sich auch an andere Gesten, wenn sie etwa ihre Unterlagen an den Rand des Schreibtischs legte, oder sich rasch die Lippen befeuchtete, bevor sie trank, oder zwischen zwei Sätzen ausgiebig Luft holte, oder wie sie manchmal das
s
aussprach, hauptsächlich wenn der Tag sich dem Ende zu neigte, und ihr Höflichkeitslächeln, ihr Dankeschönlächeln, und ihre hohen Absätze, ach ja, ihre hohen Absätze, die ihre Waden betonten. Aber überall war diese entsetzliche Auslegeware, die ihn eines Tages sogar dahin gebracht hatte, sich zu fragen: «Was war das für ein Idiot, derauf die Idee gekommen ist, die Auslegeware zu erfinden?» Und noch viele andere Dinge kamen ihm in den Sinn, und es wurden immer mehr. Ja, jetzt fiel ihm alles wieder ein, und Markus stellte fest, dass sich allerhand Begeisterung in ihm angestaut hatte. Jeder in ihrem Dunstkreis verbrachte Tag war die glorreiche, wenn auch schleichende Eroberung eines wahren Herzensreichs gewesen.
    Wie lange hatte er von ihr gesprochen? Er wusste es nicht. Er drehte den Kopf zur Seite und wurde gewahr, dass Charles eingedöst war. Wie ein Kind, das beim Märchenerzählen einschläft. Markus umsorgte es zart und deckte es mit seinem Jackett zu, damit ihm nicht kalt wurde. In der wiedereingekehrten Stille betrachtete er dieses Kind, von dem er geglaubt hatte, dass es mächtig war. Er, der so oft neidvoll auf das Leben der anderen geblickt hatte, den so oft das Gefühl, dass seine Lunge in einem Trichter eingeschlossen war, bedrängt hatte, er erkannte nun, dass es Leute gab, die noch viel unglücklicher waren als er. Dass er sogar gerne seine tägliche Routine absolvierte. Er wünschte sich, Nathalie werde seine Liebe erwidern, aber wenn nicht, würde er nicht auseinanderfallen. Er mochte gelegentlich hektisch werden und empfindlich sein, auf eine gewisse Art war er jedoch eine starke Natur. Einigermaßen stabil und ausgeglichen. Bei ihm lief nicht

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