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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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behandelt.»
    «Ja, genau. Zieh nur deine Nummer ab. Du wolltest ja bloß mit mir schlafen.»
    «Also ich versteh echt nicht, was du willst.»
    «Und ich versteh nicht, was du gestern mit Markus getrieben hast.»
    «Ich werd doch wohl noch mit einem Angestellten Essen gehen dürfen!»
    «Und damit ist’s jetzt aber genug! Ist das klar?», schrie sie.
    Das hatte ihr wahnsinnig gutgetan, sie hätte noch weitertoben können. Ungeheuerlich, wie sie sich zur Wehr setzte. Indem sie so entschieden ihr Revier verteidigte, verriet sie auch ihre Unsicherheit. Diese Unsicherheit, die sie noch immer nicht in Worte zu fassen vermochte. Wenn das Herz spricht, schweigt der
Larousse
. Und vielleicht war das der Grund, weshalb Charles in dem Moment, als Nathalie an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt war, aufgehört hatte, Begriffserklärungen zu lesen. Alles war gesagt, es galt, sich durch primitive Verhaltensweisen hervorzutun.
    Als sie den Raum verlassen wollte, sagte Charles:
    «Ich bin mit ihm Essen gegangen, weil ich ihn kennenlernen wollte … weil mich interessiert hat, wieso du dir einen so hässlichen und belanglosen Kerl ausgesucht hast. Weißt du, ich kann verstehen, dass du mir einen Korb gibst, aber das werde ich nie verstehen …»
    «Halt die Klappe!»
    «Glaub bloß nicht, dass ich jetzt die Sache auf sich beruhen lasse. Ich hab gerade mit den Gesellschaftern gesprochen. Deinem lieben Markus wird man jeden Augenblick ein äußerst attraktives Angebot unterbreiten. Es wäre halsbrecherisch, ein solches Angebot auszuschlagen. Der klitzekleine Haken ist, dass er nach Stockholm muss, um die Stelle anzutreten. Aber wenn man sich anschaut, was für Zulagen er bekommt, denke ich, dass sein Zögern von vorübergehender Natur sein muss.»
    «Das ist ja rührend. Vor allem, da mich nichts daran hindert, zu kündigen und mit ihm zu gehen.»
    «Das kannst du nicht machen! Ich verbiete es dir!»
    «Du tust mir echt leid …»
    «Das darfst du auch François nicht antun!»
    Nathalie starrte ihn an. Er wollte sich augenblicklich entschuldigen, er wusste, er war zu weit gegangen. Doch er war zu keiner Äußerung mehr fähig. Sie ebenso wenig. Dieser letzte Satz hatte eine Lähmung erzeugt. Schließlich ging sie langsam, ohne ein weiteres Wort, aus dem Zimmer. Allein, in der Gewissheit, sie endgültig verloren zu haben, stand er da. Er trat ans Fenster und gaffte in die Leere, die sich unter ihm auftat, und spürte eine ungeheuere Versuchung.

 
99
    Als Nathalie wieder an ihrem Schreibtisch saß, warf sie einen Blick in ihren Terminkalender. Sie griff zum Telefon, setzte sich mit Chloé in Verbindung und trug ihr auf, sämtliche geschäftlichen Besprechungen abzusagen.
    «Aber das geht überhaupt nicht! In einer Stunde ist der Ausschuss.»
    «Ja, ich weiß», fuhr Nathalie dazwischen. «Na gut, ich melde mich später noch mal.»
    Sie wusste nicht mehr weiter und legte den Hörer auf. Der Ausschuss war wichtig, sie hatte sich lange darauf vorbereitet. Doch nach dem, was sich gerade abgespielt hatte, war sie nicht mehr in der Lage, hier noch länger zu arbeiten, das stand fest. Sie dachte daran, wie sie zum ersten Mal dieses Gebäude betreten hatte. Sie war damals noch so jung. Sie erinnerte sich an die ersten Monate, an François’ Ratschläge. An seinem Tod hatte sie dies vielleicht am schwersten verkraftet: Dass es ihre Gespräche von heute auf morgen plötzlich nicht mehr gab. Diese Momente, in denen der eine zum Leben des anderen Stellung nimmt, in denen man sich gegenseitig bespricht. Sie stand allein am Rande des Abgrunds und merkte, wie ihre Kräfte schwanden. Seit drei Jahren spielte sie die schwülstigste Komödie, die man sich nur vorstellen konnte. Im Grunde war sie sich nie sicher gewesen,ob sie weiterleben wollte. Wenn sie sich diesen Sonntag ins Gedächtnis rief, an dem ihr Mann ums Leben gekommen war, plagten sie immer noch so viele Schuldgefühle, absurde Schuldgefühle. Sie hätte ihn davon abhalten müssen, ihn am Laufen hindern sollen. Ist das nicht die Aufgabe einer Frau? Dafür zu sorgen, dass die Männer nicht mehr laufen. Sie hätte ihn zurückhalten, ihn küssen, ihn lieben müssen. Sie hätte das Lesen aufhören und ihr Buch zur Seite legen müssen und nicht zulassen dürfen, dass er alles vernichtete.
    Ihre Wut hatte sich inzwischen gelegt. Noch einen Augenblick betrachtete sie ihren Schreibtisch, dann packte sie eilig ein paar Sachen in ihre Tasche. Sie fuhr den Computer herunter, räumte ihre Schubladen

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