Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
Vom Netzwerk:
zwei Teenager, die keine Ahnung haben, was man beim ersten Rendezvous redet. Markus wusste weder, wo er sich befand, noch, wohin die Reise ging. Er saß an Nathalies Seite, mehr brauchte er nicht zu wissen. Als er nach einer Weile die Stille nicht mehr ertrug, stellte er das Radio an. Es lief Radio Nostalgie. Im Wagen erklang
L’amour en fuite
von Alain Souchon.
    «Ach, das ist ja unglaublich!», rief Nathalie.
    «Was?»
    «Na, dieses Lied. Das ist ja verrückt. Das ist mein Lied. Und das kommt jetzt … im Radio.»
    Mit Wohlwollen betrachtete Markus das Autoradio. Dieser Apparat hatte es möglich gemacht, mit Nathalie wieder ein Gespräch anzuknüpfen. Sie betonte nachdrücklich, wie seltsam und verrückt das war. Ein Zeichen. Aber was für ein Zeichen? Das konnte Markus nicht wissen. Es wunderte ihn, was für eine Wirkung dieses Chanson auf seine Gefährtin ausübte. Doch er kannte die merkwürdigen Zufälle, die es im Leben gab, die seltsamen Fügungen. Die Anlässe, die einenan der Vernunft zweifeln ließen. Als das Stück zu Ende war, bat sie ihn, das Radio wieder auszuschalten. Sie wollte dieses Lied, das sie seit eh und je so geliebt hatte, noch ein wenig in der Luft hängen lassen. Dieses Lied, das sie zum ersten Mal in dem gleichnamigen Film gehört hatte, dem letzten Teil der Abenteuer des Antoine Doinel. Sie war in diese Zeit hineingeboren worden, und ihre Gefühle waren vielleicht zu verwickelt, um sie zu beschreiben: Aber sie war in dieser Zeit verwurzelt. Sie war ein Spross dieser Melodie. Ihr sanftes Wesen, ihre gelegentliche Melancholie, ihre Leichtigkeit, all das gehörte ins Jahr 1978. Es war ihr Lied, ihr Leben. Und es war solch ein unfassbarer Zufall.
    Sie hielten am Straßenrand. In der Dunkelheit vermochte Markus nicht zu erkennen, wo sie waren. Sie stiegen aus dem Wagen. Er bemerkte ein langes Gitter, das Gitter eines Friedhofstors. Dann bemerkte er, dass das Gitter nicht lang, sondern lang und hoch war. Es hätte ebenso gut ein Gefängnisgitter sein können. Tote sind zwar zu lebenslänglich verurteilt, doch dass sie ausbrechen, erscheint kaum vorstellbar. Da erhob Nathalie ihre Stimme.
    «Hier liegt François begraben. In dieser Gegend hat er seine Kindheit verbracht.»
    «…»
    «Er hat mir natürlich nicht gesagt, wo er begraben werden will. Er wusste ja nicht, dass er sterben würde … Aber ich bin mir sicher, er hätte sich diesen Ort ausgesucht … die Landschaft, in der er aufgewachsen ist.»
    «Verstehe», flüsterte Markus.
    «Weißt du, das Lustige ist, dass ich auch hier in der Gegend groß geworden bin. Als François und ich uns kennengelernt haben, haben wir darin eine außergewöhnliche Fügung gesehen. Wir hätten uns als Teenager hundert Mal über den Weg laufen können, aber wir sind uns nie begegnet. Und in Paris sind wir uns dann in die Arme gelaufen. Als … wären wir dazu bestimmt gewesen, uns zu treffen …»
    Bei diesem Satz hielt Nathalie inne. Doch in Markus’ Kopf ging er noch weiter. Von wem sprach sie? Von François, schon klar. Aber vielleicht auch von ihm? Die Doppelbödigkeit ihrer Worte mehrte die Sinnbildlichkeit der Szene, die von einer Eindringlichkeit war, wie sie nicht häufig vorkommt. Seite an Seite standen sie am Fuße von François’ Grab. Am Fuße der Vergangenheit, die nie anfängt aufzuhören. Über Nathalies Gesicht rann so viel Regen, dass die Tropfen von ihren Tränen nicht mehr zu unterscheiden waren. Nur Markus konnte sie unterscheiden. Er verstand es, ihre Tränen abzulesen. Die Tränen von Nathalie. Er rückte näher und schloss sie in seine Arme, als würde er ihren Schmerz umfassen.

 
109
    Der zweite Teil von
L’amour en fuite,
dem Lied von Alain Souchon,
das Markus und Nathalie im Auto hörten
    Nous, nous, on a pas tenu le coup.
    Bou, bou, ça coule sur ta joue.
    On se quitte et y a rien qu’on explique.
    C’est l’amour en fuite,
    L’amour en fuite.
    J’ai dormi, un enfant est venu dans la dentelle.
    Partir, revenir, bouger, c’est le jeu des hirondelles.
    À peine installé, je quitte le deux-pièces cuisine.
    On peut s’appeler Colette, Antoine ou Sabine.
    Toute ma vie, c’est courir après des choses
    qui se sauvent:
    Des jeunes filles parfumées, des bouquets de pleurs,
    des roses.
    Ma mère aussi mettait derrière son oreille
    Une goutte de quelque chose qui sentait pareil.[ 1 ]
     
     
    1 Buh, buh, welch eine Pleite.
    Buh, buh, dir läuft’s runter an der Seite.
    Es ist vorbei, warum ist nicht wichtig.
    Liebe ist

Weitere Kostenlose Bücher