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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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sich beeilte. Wie sie den bevorstehendenMoment noch vor dem jetzigen erleben wollte. Sie hatte etwas Entfesseltes an sich. Nun standen sie Seite an Seite vor den zwei Waschbecken. Sie wuschen sich die Hände und lächelten sich geradezu dämlich an. Seifenblasen bildeten sich, viele Seifenblasen, doch nicht die Seifenblasen der Nostalgie. Markus dachte: Das ist die schönste Handwäsche meines Lebens.
    Sie mussten sich umziehen. Für Nathalie kein Problem. Sie hatte ein paar Sachen auf ihrem Zimmer. Madeleine wandte sich an Markus:
    «Haben Sie Kleidung zum Wechseln dabei?»
    «Nein. Wir sind spontan losgefahren.»
    «Aus heiterem Himmel?»
    «Ja genau, aus heiterem Himmel.»
    Beide machten einen glücklichen Eindruck, nachdem sie die Worte «aus heiterem Himmel» hatten in den Mund nehmen dürfen, fand Nathalie. Der Gedanke an ein kurzentschlossenes Vorgehen schien sie zu begeistern. Die Großmutter schlug Markus vor, im Schrank ihres verstorbenen Gatten herumzustöbern. Er folgte ihr bis ans Ende eines Flurs, wo sie ihn sich selbst überließ, um sich etwas auszusuchen. Einige Minuten später erschien er in einem Anzug, der zum Teil in beige, zum Teil in einer namenlosen Farbe gehalten war. Sein Hemdkragen war so weit, dass sein Hals darin unterzugehen drohte. Die skurrile Aufmachung beeinträchtigte seine gute Laune in keiner Weise. Er fühlte sich beschwingt in seinen Kleidern und dachte sogar: Da flattert alles herum, aber mir geht’s gut. Nathalie brach in schallendes Gelächter aus undvergoss dabei ein paar Tränen. Die Tränen, die sie lachte, rannen ihr über die Wangen, die kaum von den Tränen ihres Schmerzes getrocknet waren. Madeleine trat an Markus heran, doch er spürte, dass sie mehr auf den Anzug als auf ihn zuging. In jeder Falte lebte eine Erinnerung fort. Einen Moment lang blieb sie dicht vor ihrem Überraschungsgast stehen und rührte sich nicht.

 
111
    Vielleicht liegt es am Krieg, den sie durchgemacht haben, jedenfalls haben Großmütter immer etwas zu essen im Haus, das sie ihren Enkelkindern anbieten können, wenn diese mitten in der Nacht mit einem Schweden aufkreuzen.
    «Ich hoffe, ihr habt noch nicht gegessen. Ich hab eine Suppe gekocht.»
    «Ach ja? Was für eine Suppe?», fragte Markus.
    «Freitagssuppe. Wie soll ich das erklären? Wir haben heute Freitag, also gibt’s Freitagssuppe.»
    «Das heißt, in der Suppe ist keine Krawatte drin», folgerte Markus.
    Nathalie beugte sich zu ihrer Großmutter hinüber:
    «Er sagt manchmal so komische Sachen, Omi. Mach dir deswegen keine Sorgen.»
    «Och, weißt du, seit Kriegsende mach ich mir eigentlich keine Sorgen mehr. Alles in Butter. Na los, setzt euch hin.»
    Madeleine war voller Elan. Zwischen dem Tatendrang, den sie am Herd entfaltete, und dem anfänglichen Bild der alten Frau, die am Feuer saß, bestand ein himmelweiter Unterschied. Sie verbat sich jegliche Hilfe, als sie in der Küche herumhantierte. Die Geschäftigkeit dieser kleinen Maus rührte Nathalie und Markus. Alles schien so weit weg: Paris, die Firma, die Akten. Selbst die Zeit verflüchtigte sich: Die Erinnerung an den Nachmittag, der im Büro begonnen hatte, färbte sich schwarz-weiß. Allein die nach dem Wochentag benannte Suppe stellte einen Faktor dar, durch den sie ein bisschen in der Realität verankert waren.
    Das Essen verlief schlicht. Schweigend. Bei den Großeltern geht der Rausch des Glücks, die Enkelkinder zu sehen, nicht zwangsläufig mit langen Tiraden einher. Man erkundigt sich, ob sie wohlauf sind, und dann erfasst einen sehr rasch die einfache Freude darüber, dass man zusammen ist. Nach dem Essen half Nathalie ihrer Großmutter beim Abwasch. Sie fragte sich: Wie konnte es passieren, dass ich ab einem bestimmten Zeitpunkt fast vergessen habe, wie angenehm es hier ist? Als würde sie damit all ihr jüngstes Glück gleich wieder zur Vergessenheit verdammen. Doch sie spürte, sie war stark genug, dieses Glück nun festzuhalten.
    Im Wohnzimmer rauchte Markus eine Zigarre. Zwar vertrug er schon Zigaretten schlecht, aber er hatte Madeleine eine Freude machen wollen. «Es imponiert ihr, wenn die Männer nach dem Essen eine Zigarre rauchen. Frag nicht warum. Tu ihr einfach den Gefallen», hatte Nathalie Markus zugeflüstert, als er sich zu der Aufforderung irgendwie verhaltenmusste. Markus verlieh also seiner großen Lust auf eine Zigarre Ausdruck, mit eher laienhaft vorgegaukeltem Enthusiasmus, doch Madeleine sah nur Feuer und Flamme. So spielte Markus den

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