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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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flüchtig,
    Sie ist auf der Flucht.
    Über Nacht lag da ein Kind in Spitzen und Schleifen.
    ‹Hin und her und weiter› ist das Lied, das die Schwalben pfeifen.
    Zwei Zimmer, Küche, Bad, hinfort, ich war kaum drin.
    Eine heißt Colette, der andere Antoine, die nächste Sabine.
    Festhalten, was entgleitet, ist meines Lebens rotes Fädchen:
    Tränensträuße, Rosengrüße, parfümierte Mädchen.
    Meine Mutter schon hat sich allzeit betupft
    hinterm Ohr mit einem ganz ähnlichen Duft.

 
110
    Sie machten sich wieder auf den Weg. Markus wunderte sich, wie viele Kurven es gab. In Schweden gehen die Straßen immer geradeaus; sie laufen auf ein erkennbares Ziel zu. Er ließ sich hin- und herschaukeln und wagte nicht, Nathalie zu fragen, wohin die Reise führte. War das eigentlich wichtig? Es mag abgedroschen klingen, aber er war bereit, ihr bis ans Ende der Welt zu folgen. Wusste sie wenigstens, wohin sie fuhr? Vielleicht wollte sie einfach nur durch die Nacht rasen. Dahinrauschen, um sich selbst zu vergessen.
    Endlich bremste sie. Diesmal vor einem niedrigen Gitter. War das der rote Faden, der sich durch ihre Irrfahrt zog? Verschiedene Arten von Gitterstäben. Sie stieg aus, machte das Gitter auf und setzte sich dann wieder in den Wagen. Ihre einzelnen Bewegungen zeichneten sich scharf voneinander ab, und Markus schien eine jede bedeutsam. Letztlich erschließen sich Details einer persönlichen Legende nur so. Der Wagen rollte einen schmalen Weg entlang und kam vor einem Haus zum Stehen.
    «Hier wohnt Madeleine, meine Großmutter. Seit dem Tod meines Großvaters lebt sie allein.»
    «Okay. Freut mich, sie kennenzulernen», gab Markus artig zurück.
    Nathalie klopfte an der Tür, ein, zwei Mal, schließlich pochte sie etwas energischer. Immer noch nichts. «Sie hört ein bisschen schlecht. Wir gehen am besten einmal ums Haus herum. Sie sitzt bestimmt im Wohnzimmer, da sieht sie uns, wenn sie aus dem Fenster schaut.»
    Um auf die andere Seite des Hauses zu gelangen, mussten sie einen durch den Regen vollkommen aufgeweichten Pfad benutzen. Markus hielt sich an Nathalie fest. Er sah so gut wie nichts. Falsche Seite vielleicht? Zwischen dem Haus und dem mit Brombeersträuchern gespickten Gestrüpp war kaum Platz, wo sie sich hindurchzwängen konnten. Nathalie rutschte aus und riss Markus im Fallen mit sich. Jetzt waren sie schlammbesudelt und durchnässt. In der Menschheitsgeschichte hatte es schon glorreichere Expeditionen gegeben, diese hier entwickelte sich zu einer Lachnummer. Nathalie verkündete:
    «Am besten bewegen wir uns auf allen vieren fort.»
    «Das ist ja wirklich nett mit dir», sagte Markus.
    Als sie endlich die andere Seite erreichten, entdeckten sie die kleine Oma, die vor ihrem Kaminfeuer saß. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt. Dieser Anblick haute Markus geradezu um. Wie sie so dasaß und scheinbar selbstvergessen wartete. Nathalie klopfte ans Fenster, und diesmal hörte die Großmutter sie. Gleich hellte sich ihr Gesicht auf, und sie beeilte sich, das Fenster zu öffnen.
    «Ach Schätzchen … was machst du denn hier? Was für eine freudige Überraschung!»
    «Ich wollte dich besuchen … Ich hab’s schon auf der anderen Seite probiert.»
    «Ach ja, tut mir leid. Du bist nicht die Erste, die es da probiert. Na kommt, ich mach euch auf.»
    «Nein, ich hab eine bessere Idee. Wir steigen durchs Fenster.»
    Sie kletterten durchs Fenster und waren endlich im Trockenen.
    Nathalie stellte Markus ihrer Großmutter vor. Diese strich ihm mit der Hand über die Wange, drehte sich dann wieder zu ihrer Enkelin um und sagte: «Ich glaube, er ist ein pfundiger Kerl.» Da setzte Markus ein breites Grinsen auf, als wolle er bekräftigen: Ja, stimmt, ich bin ein pfundiger Kerl. Madeleine fuhr fort:
    «Vor langer Zeit hab ich auch mal einen Markus gekannt. Oder vielleicht hieß er auch Paulus … oder Charlus … Na ja, jedenfalls endete der Name auf
us
… aber ich weiß nicht mehr genau …»
    Es entstand ein betretenes Schweigen. Was meinte sie mit «ich hab mal einen gekannt»? Nathalie lächelte und drückte sich an ihre Großmutter. Markus beobachtete die beiden und stellte sich Nathalie als kleines Mädchen vor. Vor ihm erstanden die 80er-Jahre wieder auf. Nach einer Weile erkundigte er sich:
    «Wo kann ich mir denn die Hände waschen?»
    «Ach ja. Komm mit.»
    Sie nahm seine schlammbeschmierte Hand und führte ihn eilig ins Badezimmer.
    Ja, da war es, das Mädchenhafte, das Markus mit ihr verband. Wie sie

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