Nathalie küsst
Monsieur Bonivent hieß ihn mit einem breiten Lächeln willkommen. Markus’ augenblicklicher Gedanke war: Welch tödliches Lächeln. Für einen Leiter einer Personalabteilung kommt es darauf an, dass er den Anschein zuerwecken vermag, die Karriere eines Beschäftigten betreffe ihn wie seine eigene. Markus durfte sich davon überzeugen, dass Monsieur Bonivent der richtige Mann am richtigen Platz war:
«Oh, Monsieur Lundell … freut mich, Sie zu sehen. Wissen Sie, ich verfolge Ihr Treiben schon seit einer Weile …»
«Ach ja?», gab Markus zurück, für den (aus gutem Grund) feststand, dass dieser Monsieur eben erst von seiner Existenz erfahren hatte.
«Selbstverständlich … ich beobachte die Entwicklung jedes Angestellten … und was Sie angeht, muss ich gestehen, dass ich ein richtiger Fan von Ihnen geworden bin. Sie machen keinen Wirbel, stellen nie irgendwelche Forderungen. So einfach ist das, wenn ich nicht ein bisschen hellhörig wäre, dann wäre mir, na ja, vielleicht gar nicht aufgefallen, dass es Sie in unserem Betrieb überhaupt gibt …»
«Aha …»
«Von Mitarbeitern wie Ihnen kann jeder Unternehmer nur träumen.»
«Danke. Aber warum wollten Sie mich denn sprechen?»
«Ha, das ist typisch für Ihre Art! Effizienz, Effizienz! Keine Zeit verlieren! Wenn doch nur alle so wären wie Sie!»
«Nun?»
«Also gut … ich werde Ihnen die Lage frank und frei schildern: Die Unternehmensleitung bietet Ihnen eine Stelle als Teamleiter an. Dazu eine beträchtliche Gehaltserhöhung, versteht sich von selbst. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur strategischen Neupositionierung unseres Konzerns … und ich darf Ihnen mitteilen, dass mich diese Beförderungbesonders freut, da ich den Vorgang seit einiger Zeit aktiv unterstützt habe.»
«Danke … Mir fehlen die Worte.»
«Selbstverständlich werden wir Ihnen bei all den mit so einer Versetzung verbundenen verwaltungstechnischen Angelegenheiten unter die Arme greifen.»
«Versetzung?»
«Ja. Arbeitsort ist Stockholm. Bei Ihnen zu Hause!»
«Das kommt für mich nicht infrage, dass ich nach Schweden zurückgehe. Lieber arbeitslos als in Schweden.»
«Aber …»
«Kein Aber …»
«Aber doch, ich fürchte, Sie haben keine Wahl.»
Markus machte sich nicht die Mühe zu antworten und verließ wortlos das Büro.
104
In der Regel ließ Markus sich Zeit, wenn er die Gänge entlanglief. Diese Wege waren für ihn immer ein Päuschen gewesen. Er konnte ohne Weiteres aufstehen und dabei die Absicht hegen, sich «ein bisschen die Beine [zu] vertreten», so wie andere hinausgingen, um eine Zigarette zu rauchen. Doch nun war es vorbei mit der Nonchalance. Er spurtete, was einen reichlich ungewohnten Anblick bot. Als wäre er von Rage getrieben. Als wäre ihm ein auffrisierter Dieselmotor eingepflanzt worden. Zumindest irgendein Teil war ihm wohl eingesetzt worden: Schließlich hatte man ihn anempfindlicher Stelle getroffen, an den Nervenleitungen, die direkt mit dem Herzen verbunden sind.
Er stürmte ins Zimmer seines Chefs. Als Charles seinen Angestellten erblickte, fasste er sich unwillkürlich an die Wange. Markus baute sich in der Mitte des Raums auf, mit seiner Wut an sich haltend. Charles gab sich innerlich einen Ruck:
«Wissen Sie, wo sie steckt?»
«Nein, ich weiß es nicht. Ich kann die Frage nicht mehr hören. Ich weiß es nicht.»
«Ich habe gerade mit verschiedenen Kunden telefoniert. Sie sind alle außer sich. Kaum zu glauben, was sie uns da antut!»
«Ich glaube, ich kann sie sehr gut verstehen.»
«Was wollen Sie von mir?»
«Ich habe Ihnen zwei Dinge mitzuteilen.»
«Schnell. Ich bin in Eile.»
«Erstens, ich lehne Ihr Stellenangebot ab. Das ist eine ganz erbärmliche Nummer von Ihnen. Ich frage mich, wie Sie sich selbst noch im Spiegel ansehen können.»
«Wie kommen Sie darauf, dass ich mich im Spiegel ansehe?»
«Ach, ist mir doch schnuppe, ob Sie sich im Spiegel ansehen oder nicht.»
«Und zweitens?»
«Ich kündige.»
Charles war verblüfft, wie rasch dieser Mann seine Konsequenzen zog. Er hatte keine Sekunde gezögert. Er lehnte das Angebot ab und reichte seine Kündigung ein. Wie kames, dass er mit der Situation dermaßen schlecht umgehen konnte? Sei’s drum. Vielleicht hatte er, Charles, es so gewollt? Dass sie beide das Weite suchten, mitsamt ihrer bedauernswerten Affäre. Charles ließ Markus weiter nicht aus den Augen, dessen Gesichtszüge allerdings keine Schlüsse zuließen. Auf Markus’ Gesicht lag nämlich
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