Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
Vom Netzwerk:
sich auf. Am liebsten hätte er sie geschlagen: die Rechnung des Tages beglichen. Ihr wenigstens eine Ohrfeige geben, doch seine Hand mochte sich nicht so recht entscheiden. Er betrachtete sie. Seine Hand hing in der Luft, einsam und verlassen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er es ohne Liebe nicht mehr aushielt, dass er in einer gefühlskalten Welt zu erfrieren drohte. Nie schloss ihn jemand in die Arme, niemand zeigte ihm je seine Zuneigung. Warum war das so? Er hatte sein Zartgefühl verlernt. Er lebte jenseits der Empfindsamkeit.
    Langsam ließ er seine Hand in die Haare seiner Frau sinken. Er war ergriffen, tief ergriffen, auch wenn er nicht ganz verstand, woher diese Gefühlswallung kam. Er dachte sich, dass seine Frau schönes Haar hatte. Vielleicht kam es daher. SeineHand glitt weiter nach unten und befühlte ihren Nacken. An manchen Stellen ihrer Haut spürte er noch die Überreste seiner einstigen Küsse. Andenken an das Feuer seiner Leidenschaft. Vom Nacken ausgehend, wollte er den Körper seiner Frau zurückerobern. Er schlich um das Sofa herum, um die Sache frontal anzugehen. Er ging in die Knie und versuchte, sie zu küssen.
    «Was machst du denn da?», fragte sie mit belegter Stimme.
    «Ich will dich.»
    «Jetzt?»
    «Genau, jetzt.»
    «Du meinst wohl, du kannst mich überrumpeln.»
    «Was denn? Muss man für einen Kuss erst einen Termin mit dir vereinbaren?»
    «Nein … Blödmann.»
    «Und weißt du was, ich hab noch eine Idee.»
    «Was?»
    «Wir könnten nach Venedig fahren. Genau, da werd ich mich mal drum kümmern … Wir fahren übers Wochenende nach Venedig … Nur du und ich … das wird uns guttun …»
    «… Du weißt, ich werde leicht seekrank.»
    «Na und? Ist doch egal … Wir fliegen ja hin.»
    «Ich meine wegen der Gondeln. Ist doch schade, wenn man keine Gondelfahrt machen kann, wenn man schon in Venedig ist. Findest du nicht?»

 
113
    Gedanke eines anderen polnischen Philosophen
    Nur Kerzen wissen, wie es ist, mit dem Tode zu ringen.

 
114
    Nathalie trat in das Zimmer, in dem sie auch sonst immer geschlafen hatte. Im Schein der Kerzen schritt sie voran, obwohl sie jeden Winkel des Raums so genau kannte, dass sie sich auch im Dunkeln zurechtgefunden hätte. Sie wies Markus den Weg, der sie an den Hüften gefasst hielt und sich so vorwärtsschob. Er erlebte die lichteste Dunkelheit seines Lebens. Ihn überkam die Befürchtung, eine solche Glückswucht könne seine Manneskraft zum Erliegen bringen. Ein Übermaß an Erregung hat oft eine lähmende Wirkung. Nicht dran denken, sich einfach tragen lassen von jedem Augenblick. Jeder Atemzug eine Tür zu einer neuen Welt. Nathalie stellte die Kerzen auf den Nachttisch. Sie standen sich gegenüber, im Wogen ihrer sich wiegenden Schatten.
    Sie legte den Kopf an seine Schulter, er strich durch ihr Haar. In dieser Haltung hätten sie verweilen können. Eine Liebe, die im Stehen schlief. Aber es war grässlich kalt. Die Kälte kam auch von der Unbelebtheit; hier wohnte ja niemand mehr. Sie mussten sich den Raum erst zurückerobern, die Erinnerungen mit neuen erinnernswerten Geschehnissen auffüllen. Sie schlüpften unter die Decke. Markus streichelte unermüdlich Nathalies Haare. Er war so vernarrt in sie, er wollte mit jedem einzelnen Bekanntschaft schließen, seine Geschichte hören und seine Gedanken kennenlernen. Er trug sich mit dem Gedanken, eine Reise in ihr Haar zu unternehmen. Für Nathalie war die Empfindsamkeit dieses Mannes, der darauf bedacht schien, nichts zu überstürzen, angenehm. Dennoch war er nicht untätig. Gerade zog er sie aus, und sein Herz pochte dabei mit bis dahin nicht gekannter Heftigkeit.
    Nun drückte sie sich nackt an ihn. Die Gefühle, die ihn überwältigten, waren so stark, dass seine Bewegungen langsamer wurden. So langsam, dass es fast schien, als wolle er zurückweichen. Eine ungeheure Angst zehrte an ihm, machte ihn konfus. Sie liebte diese Momente, in denen er sich ungeschickt anstellte, unschlüssig war. Sie erkannte, dass sie sich, wenn sie an Männern wieder Gefallen fand, am meisten nach einem Mann gesehnt hatte, der im Umgang mit Frauen nicht unbedingt geübt war. Gemeinsam würden sie die Gebrauchsanweisung der Liebe von vorn studieren. Die Vorstellung, mit Markus zusammen zu sein, hatte etwas äußerst Erholsames. Vielleicht war es ein eingebildeter oder oberflächlicher Gedanke, aber sie glaubte, dass er mit ihr immer glücklich seinwürde. Sie hatte das Gefühl, dass sie in einer sehr soliden

Weitere Kostenlose Bücher