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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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fand. Dass sie ihn zum letzten Mal sah, konnte sie nicht ahnen. Er hopste durchs Wohnzimmer. Es war so seine Art sich aufzuwärmen, vor dem Start atmete er immer schwer, als ginge es darum, eine große Leere zu hinterlassen. Das sollte er schaffen, so viel steht fest. Bevor er loslief, beugte er sich noch zu seiner Frau herab und sagte etwas zu ihr. Merkwürdig, an diese Worte würde sie sich später nicht erinnern können. Die letzten Worte, die sie wechselten, sollten unauffindbar sein. Obendrein übermannte sie der Schlaf.
    Als sie wieder erwachte, fragte sie sich, wie lange sie wohl weggedöst war. Zehn Minuten oder eine volle Stunde? Sie goss sich ein bisschen Tee ein. Er war noch warm. Das war ein Hinweis. Alles schien unverändert. Genau die gleiche Situation wie vor dem Einschlafen. Ja, alles war genau wie zuvor. Während die gleiche Situation wie zuvor zurückkehrte, läutete das Telefon. In einer seltsamen Übereinstimmung ihrer Empfindungen vermischte sich das Klingeln des Telefons mit dem Dampfen des Tees. Nathalie hob ab. EinenAugenblick später war ihr Leben nicht mehr das gleiche. Instinktiv markierte sie mit einem Lesezeichen die Stelle in ihrem Buch und stürzte nach draußen.

 
14
    Als sie die Eingangshalle des Krankenhauses erreichte, war sie unschlüssig, was sie nun sagen, was sie tun sollte. Einen langen Augenblick stand sie wie versteinert herum. An der Rezeption sagte man ihr schließlich, wo sich ihr Mann befand. Reglos hingestreckt sah sie ihn daliegen. Ihr Gedanke war: Sieht so aus, als würde er schlafen. Er bewegt sich nie im Schlaf. Und da, in jenem Moment, hatte es den Anschein, als sei dies einfach eine Nacht wie jede andere.
    «Wie groß sind seine Überlebenschancen?», erkundigte sich Nathalie beim Doktor.
    «Minimal.»
    «Was bedeutet das? Heißt minimal, dass er überhaupt keine Überlebenschance hat? Wenn das der Fall ist, bitte sagen Sie mir, dass er überhaupt keine hat.»
    «Das lässt sich nicht sagen, Madame. Eine winzige Chance besteht. Man kann nie wissen.»
    «Na, das sollten Sie aber wissen! Das ist Ihre Aufgabe, das zu wissen!»
    Sie hatte diesen letzten Satz aus Leibeskräften geschrien. Mehrmals. Dann war sie verstummt. Sie hatte den Arztangestiert, der seinerseits fast erstarrte, wie gelähmt. Er hatte schon etliche dramatische Szenen miterlebt. Doch hier hatte er es mit einer höheren Stufe des Leids zu tun, das spürte er, ohne dass er hätte erklären können woran. Er sah in das vom Schmerz gezeichnete Gesicht dieser Frau. Sie war so ausgedörrt von ihren Qualen, dass sie zu weinen außerstande war. Sie bewegte sich auf ihn zu, hilflos entrückt. Ehe sie darniedersank.
    Als sie wieder zu sich kam, erkannte sie ihre Eltern. Und François’ Eltern. Eben hatte sie doch noch gelesen, und nun war sie plötzlich nicht mehr bei sich zu Hause. Die Wirklichkeit fügte sich langsam wieder zusammen. Sie wollte die Zeit, das Rad dieses Sonntags zurückdrehen und wieder in ihren Schlaf eintauchen. Das konnte nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein, in einer irrsinnigen Litanei betete sie unentwegt diesen Satz her. Man gab ihr zu verstehen, er liege im Koma. Es sei noch nichts verloren, doch sie spürte wohl, dass alles aus war. Sie wusste es. Zum Kämpfen fehlte ihr die Energie. Wozu kämpfen? Um ihn noch eine Woche am Leben zu halten? Und dann? Sie hatte ihn liegen sehen. Hatte gesehen, wie leblos er dalag. Aus solch einer Leblosigkeit kehrt man nicht wieder zurück. Man bleibt so für immer liegen.
    Sie bekam Beruhigungsmittel. Alle und alles um sie herum war zusammengebrochen. Und es musste geredet werden. Man musste sich gegenseitig wieder aufrichten. Es überstieg ihre Kräfte.
    «Ich will bei ihm bleiben. An seinem Bett Wache halten.»
    «Nein, das bringt doch nichts. Fahr lieber mit uns nach Hause und ruh dich ein wenig aus», riet ihr ihre Mutter zu.
    «Ich will mich nicht ausruhen. Ich muss hierbleiben, ich muss hierbleiben.»
    Noch während sie dies sagte, verlor sie beinahe das Bewusstsein. Der Arzt versuchte sie zu überreden, sich ihren Eltern anzuschließen. Sie wandte ein: «Und wenn er nun aufwacht, und ich bin nicht da?» Es entstand ein betretenes Schweigen. Niemand vermochte zu glauben, er würde aufwachen. Man wollte sie beruhigen, ein aussichtsloses Unterfangen. «Dann werden Sie sofort benachrichtigt, aber jetzt ist es wirklich besser, wenn Sie sich ein bisschen ausruhen.» Nathalie erwiderte nichts. Alle drängten sie zu schlafen, sich seiner

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