Nathan der Weise
beider nicht zu sein. Am Ganges,
Am Ganges nur gibt’s Menschen. Hier seid Ihr
Der einzige, der noch so würdig wäre,
Daß er am Ganges lebte. - Wollt Ihr mit? -
Laßt ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche,
Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach
Und nach doch drum. So wär’ die Plackerei
Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk.
Kommt!
kommt!
NATHAN.
Ich dächte zwar, das blieb’ uns ja
Noch immer übrig. Doch, Al-Hafi, will
Ich’s überlegen. Warte …
AL-HAFI. Überlegen?
Nein, so was überlegt sich nicht.
NATHAN. Nur
bis
Ich von dem Sultan wiederkomme; bis
Ich Abschied erst …
AL-HAFI.
Wer überlegt, der sucht
Bewegungsgründe, nicht zu dürfen. Wer
Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht
Entschließen kann, der lebet andrer Sklav’
Auf immer. - Wie Ihr wollt! - Lebt wohl! wie’s Euch
Wohl dünkt. - Mein Weg liegt dort; und Eurer da.
NATHAN.
Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das Deine
Berichtigen?
AL-HAFI.
Ach Possen! Der Bestand
Von meiner Kass’ ist nicht des Zählens wert;
Und meine Rechnung bürgt - Ihr oder Sittah.
Lebt
wohl!
(Ab.)
NATHAN. (ihm
nachsehend)
Die bürg ich! - Wilder, guter, edler -
Wie nenn ich ihn? - Der wahre Bettler ist
Doch einzig und allein der wahre König!
(Von einer andern Seite ab.)
DRITTER
AUFZUG
43
ERSTER
AUFTRITT
(Szene: in Nathans Hause.)
Recha
und
Daja.
RECHA.
Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus?
»Ich dürf’ ihn jeden Augenblick erwarten?«
Das klingt - nicht wahr? - als ob er noch so bald
Erscheinen werde. - Wieviel Augenblicke
Sind aber schon vorbei! - Ah nun: wer denkt
An die verflossenen? - Ich will allein
In jedem nächsten Augenblicke leben.
Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.
DAJA.
O der verwünschten Botschaft von dem Sultan!
Denn Nathan hätte sicher ohne sie
Ihn gleich mit hergebracht.
RECHA.
Und wenn er nun
Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn
Nun meiner Wünsche wärmster, innigster
Erfüllet ist: was dann? - was dann?
DAJA. Was
dann?
Dann hoff ich, daß auch meiner Wünsche wärmster
Soll in Erfüllung gehen.
RECHA.
Was wird dann
In meiner Brust an dessen Stelle treten,
Die schon verlernt, ohn’ einen herrschenden
Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? - Nichts?
Ah, ich erschrecke! …
DAJA.
Mein, mein Wunsch wird dann
An des erfüllten Stelle treten; meiner.
Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen
Zu wissen, welche deiner würdig sind.
RECHA.
Du irrst. - Was diesen Wunsch zu deinem macht,
Das nämliche verhindert, daß er meiner
Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland:
Und meines, meines sollte mich nicht halten?
Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele
Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen,
Als die ich sehn, und greifen kann, und hören,
Die
Meinen?
DAJA.
Sperre dich, soviel du willst!
Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.
Und wenn es nun dein Retter selber wäre,
Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in
Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,
Für welche du geboren wurdest?
44
RECHA. Daja!
Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!
Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!«
Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,
Der einem Menschen eignet? der für sich
Muß kämpfen lassen? - Und wie weiß
Man denn, für welchen Erdkloß man geboren,
Wenn man’s für den nicht ist, auf welchem man
Geboren? - Wenn mein Vater dich so hörte! -
Was tat er dir, mir immer nur mein Glück
So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?
Was tat er dir, den Samen der Vernunft,
Den er so rein in meine Seele streute,
Mit deines Landes Unkraut oder Blumen
So gern zu mischen? - Liebe, liebe Daja,
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! - Und ich muß dir sagen,
Ich selber fühle meinen Boden, wenn
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
So ausgezehrt durch deine Blume; fühle
In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,
Mich so betäubt, so schwindelnd! - Dein Gehirn
Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum
Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,
Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin
Gemacht? - Noch schäm ich mich vor meinem Vater
Der
Posse!
DAJA.
Posse! - Als ob der Verstand
Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse!
Wenn ich nur reden dürfte!
RECHA.
Darfst du nicht?
Wenn
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