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Nathan der Weise

Nathan der Weise

Titel: Nathan der Weise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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verschmäht

    35

    Sie minder? - Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd

    Und nicht gefangen wäret, würd’ ich Euch

    So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit

    Kann man Euch dienen?
    TEMPELHERR. Ihr?
    Mit
    nichts.
    NATHAN. Ich
    bin
    Ein
    reicher
    Mann.
    TEMPELHERR.
    Der reichre Jude war

    Mir nie der beßre Jude.
    NATHAN.
    Dürft Ihr denn

    Darum nicht nützen, was demungeachtet

    Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?
    TEMPELHERR.
    Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;

    Um meines Mantels willen nicht. Sobald

    Der ganz und gar verschlissen; weder Stich

    Noch Fetze länger halten will: komm ich

    Und borge mir bei Euch zu einem neuen,

    Tuch oder Geld. - Seht nicht mit eins so finster!

    Noch seid Ihr sicher; noch ist’s nicht so weit

    Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch

    Im Stande. Nur der eine Zipfel da

    Hat einen garst’gen Fleck; er ist versengt.

    Und das bekam er, als ich Eure Tochter

    Durchs Feuer trug.
    NATHAN
    (der nach dem Zipfel greift und ihn be-

    trachtet).
    Es ist doch sonderbar,

    Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal

    Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als

    Sein eigner Mund. Ich möcht’ ihn küssen gleich -

    Den Flecken! - Ah, verzeiht! - Ich tat es ungern.
    TEMPELHERR. Was?
    NATHAN.
    Eine Träne fiel darauf.
    TEMPELHERR. Tut
    nichts!

    Er hat der Tropfen mehr. - (Bald aber fängt

    Mich dieser Jud’ an zu verwirren.)
    NATHAN. Wärt

    Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel

    Auch einmal meinem Mädchen?
    TEMPELHERR. Was
    damit?
    NATHAN.
    Auch ihren Mund an diesen Fleck zu drücken.

    Denn Eure Kniee selber zu umfassen,

    Wünscht sie nun wohl vergebens.
    TEMPELHERR. Aber,
    Jude
    -

    Ihr heißet Nathan? - Aber, Nathan - Ihr

    Setzt Eure Worte sehr - sehr gut - sehr spitz -

    Ich bin betreten - Allerdings - ich hätte …
    NATHAN.
    Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find

    Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,

    36

    Um höflicher zu sein. - Das Mädchen, ganz

    Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz

    Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt -

    Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;

    Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.

    Auch dafür dank ich Euch -
    TEMPELHERR.
    Ich muß gestehn,

    Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.
    NATHAN.
    Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß

    Weil es die Ordensregeln so gebieten?

    Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,

    Daß alle Länder gute Menschen tragen.
    TEMPELHERR. Mit
    Unterschied, doch hoffentlich?
    NATHAN. Jawohl;

    An Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden.
    TEMPELHERR.
    Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.
    NATHAN.
    Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her.

    Der große Mann braucht überall viel Boden;

    Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen

    Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,

    Find’t sich hingegen überall in Menge.

    Nur muß der eine nicht den andern mäkeln.

    Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.

    Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,

    Daß es allein der Erde nicht entschossen.
    TEMPELHERR.
    Sehr wohl gesagt! - Doch kennt Ihr auch das Volk,

    Das diese Menschenmäkelei zuerst

    Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk

    Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?

    Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,

    Doch wegen seines Stolzes zu verachten,

    Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;

    Den es auf Christ und Muselmann vererbte,

    Nur sein Gott sei der rechte Gott! - Ihr stutzt,

    Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?

    Wenn hat, und wo die fromme Raserei,

    Den bessern Gott zu haben, diesen bessern

    Der ganzen Welt als besten aufzudringen,

    In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr

    Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt

    Die Schuppen nicht vom Auge fallen … Doch

    Sei blind, wer will! - Vergeßt, was ich gesagt;

    Und laßt mich! (Will gehen.)
    NATHAN.
    Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester

    Ich nun mich an Euch drängen werde. - Kommt,

    Wir müssen, müssen Freunde sein! - Verachtet

    Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide

    Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind

    37

    Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?

    Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,

    Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch

    Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch
    Zu
    heißen!
    TEMPELHERR.
    Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!

    Das habt Ihr! - Eure Hand! - Ich schäme mich,

    Euch einen Augenblick verkannt zu haben.
    NATHAN.
    Und ich bin stolz darauf. Nur das

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