Nathan der Weise
vorgeht; mag voraus nicht wittern,
Was vorgehn wird. - Genug, ich bin umsonst
Geflohn! umsonst. - Und weiter konnt’ ich doch
Auch nichts, als fliehn! - Nun komm’, was kommen soll! -
Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell
Gefallen; unter den zu kommen, ich
So lang und viel mich weigerte. - Sie sehn,
Die ich zu sehn so wenig lüstern war, -
Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus
Den Augen nie zu lassen. - Was Entschluß?
Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt’,
Ich litte bloß. - Sie sehn, und das Gefühl
An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein,
War eins. - Bleibt eins. - Von ihr getrennt
Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär’
Mein Tod, - und wo wir immer nach dem Tode
Noch sind, auch da mein Tod. - Ist das nun Liebe:
So - liebt der Tempelritter freilich, - liebt
Der Christ das Judenmädchen freilich. - Hm!
Was tut’s? - Ich hab in dem gelobten Lande, -
Und drum auch mir gelobt auf immerdar! -
Der Vorurteile mehr schon abgelegt. -
Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr
Bin tot, war von dem Augenblick ihm tot,
Der mich zu Saladins Gefangnen machte.
Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär’
Mein alter? - Ist ein neuer; der von allem
Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,
Was jenen band. - Und ist ein beßrer; für
Den väterlichen Himmel mehr gemacht.
Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn
Ich so zu denken, wie mein Vater hier
Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht
Von ihm mir vorgelogen. - Märchen? - doch
Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,
Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr
Zu straucheln laufe, wo er fiel. - Er fiel?
Ich will mit Männern lieber fallen, als
Mit Kindern stehn. - Sein Beispiel bürget mir
Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall
Liegt mir denn sonst? - An Nathans? - O an dessen
Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir
Noch weniger gebrechen. - Welch ein Jude! -
Und der so ganz nur Jude scheinen will!
Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude.
Wer kam vom Saladin je anders? - He!
60
He,
Nathan!
NEUNTER
AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr.
NATHAN.
Wie? seid Ihr’s?
TEMPELHERR. Ihr
habt
Sehr lang’ Euch bei dem Sultan aufgehalten.
NATHAN.
So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
Zu viel verweilt. - Ah, wahrlich, Curd; der Mann
Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. -
Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind
Nur sagen …
TEMPELHERR. Was?
NATHAN.
Er will Euch sprechen; will,
Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
Erst etwas anders zu verfügen habe:
Und dann, so gehn wir!
TEMPELHERR. Nathan,
Euer
Haus
Betret ich wieder eher nicht …
NATHAN. So
seid
Ihr doch indes schon da gewesen? habt
Indes sie doch gesprochen? - Nun? - Sagt: wie
Gefällt
Euch
Recha?
TEMPELHERR.
Über allen Ausdruck!
Allein, - sie wiedersehn - das werd ich nie!
Nie! nie! - Ihr müßtet mir zur Stelle denn
Versprechen: - daß ich sie auf immer, immer -
Soll
können
sehn.
NATHAN.
Wie wollt Ihr, daß ich das
Versteh?
TEMPELHERR.
(nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend) Mein
Vater!
NATHAN.
- Junger Mann!
TEMPELHERR.
(ihn ebenso plötzlich wieder lassend)
Nicht Sohn? -
Ich bitt Euch, Nathan! -
NATHAN. Lieber
junger
Mann!
TEMPELHERR.
Nicht Sohn? - Ich bitt Euch, Nathan! - Ich beschwör
Euch bei den ersten Banden der Natur! -
Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! -
Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! - Stoßt mich
Nicht
von
Euch!
NATHAN.
Lieber, lieber Freund! …
TEMPELHERR. Und
Sohn?
Sohn nicht? - Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn 61
Erkenntlichkeit
zum
Herzen Eurer Tochter
Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen,
Auf Euern Wink nur beide warteten? -
Ihr
schweigt?
NATHAN.
Ihr überrascht mich, junger Ritter.
TEMPELHERR.
Ich überrasch Euch? - überrasch Euch, Nathan,
Mit Euern eigenen Gedanken? - Ihr
Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? -
Ich überrasch Euch?
NATHAN.
Eh’ ich einmal weiß,
Was für ein Stauffen Euer Vater denn
Gewesen
ist!
TEMPELHERR.
Was sagt Ihr, Nathan? was? -
In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts
Als
Neubegier?
NATHAN.
Denn seht! Ich habe selbst
Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
Der
Conrad
hieß.
TEMPELHERR.
Nun, - wenn mein Vater denn
Nun ebenso geheißen
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