Nathaniels Seele
Nathaniels Hände zuckten vor. Er packte Hazlewoods Knie so fest, dass die Knochen unter seinem Griff knackten. „Tu Josephine etwas an, und ich werde den Geist nicht länger zurückhalten. Er wird dich vernichten, dich verbrennen, bis dein Fleisch brodelt und schmilzt, bis deine Knochen verkohlen und deine Augäpfel platzen. Du ahnst nicht, mit was du spielst. Dein Glauben, mich in der Hand zu haben, ist nur Illusion. Erfreu dich kurze Zeit daran, und dann stirb. Ja, ich liebe diese Frau. Ich würde alles für sie tun. Aber der Geist weiß nichts von solchen Dingen. Noch kann ich ihn zurückhalten, um ihretwillen, aber nicht mehr lange.“
Hazlewood schrie, als Nathaniel die Hitze in sein Knie jagte. Der Schrei wurde schnell von einem Ausmaß an Schmerz erstickt, der jeden Ton in der Kehle verdorren ließ.
„Ihr wollt Dinge beherrschen, die nicht beherrschbar sind“, knurrte Nathaniel. „Ihr wollt den Sturm einsperren, die großen Ströme einfangen, die Erde in die Knie zwingen. Aber am Ende steht immer eines: euer Scheitern.“
Ein gellender Schrei aus den Lautsprechern des Computers ließ Nathaniel herumfahren. Er sah, wie Josephine zusammensank, während ihre linke Hand die Rechte umklammert hielt. Blut floss zwischen ihren Fingern hervor. Einer der Männer, zwischen denen sie kauerte, zerrte sie hoch, bog ihren Kopf zurück und hielt die Spitze eines Messers gegen ihren Hals.
„Tu das noch einmal,“ keuchte Hazlewood, „und ich erlaube meinen Männern, sich an deinem Schätzchen nach Herzenslust auszutoben. Christian! Schaff ihn weg. Er soll erst mal zur Besinnung kommen.“
Nathaniel schloss die Augen. Die Kraft in ihm ballte sich zusammen, wuchs und wuchs, bis er wusste, dass nichts mehr sie zurückhalten konnte. Nicht einmal seine Angst um Josephine. Doch in jenem Moment, da er die Macht des Totems entfesseln wollte, fühlte er Absás Anwesenheit in seinem Geist. Sie sagte nichts, vermittelte ihm nichts. Doch sie löschte die Hitze in ihm aus, füllte ihn mit Kälte und sorgte dafür, dass er bewegungslos blieb. Dass er nichts tat. Nichts, außer sich zurück in sein Gefängnis führen zu lassen und dort in eine Paralyse zu verfallen, die nicht aus ihm selbst kam.
Sie gaben ihm eine schwarze Hose und schwarzes Hemd, führten ihn in ein großzügiges Badezimmer und ließen ihn allein – doch über seinem Kopf verfolgten zwei Kameras jede Bewegung. Er roch die Angst der beiden Männer und ihre verzweifelten Bemühungen, ihn genau dieselbe nicht spüren zu lassen. Nathaniel ergötzte sich daran. Nachdem er sich gewaschen und die frische Kleidung angezogen hatte, brachten sie ihn zurück in das Zimmer, schafften ein Tablett mit Essen und zwei Wasserflaschen herbei und verschwanden. Die Knochen aber gab man ihm nicht zurück. Seit zwei Tagen hatte man sie ihm entzogen, und seine Kraft schwand an diesem Ort schneller, als er es gewöhnt war. Steckte Absá dahinter? War das hier eines ihrer Spielchen? Gefiel es ihr vielleicht, ihn so zu sehen, oder verfolgte sie einen Plan, den er noch nicht begriff?
Nathaniel trank das Wasser, rührte jedoch das Essen nicht an. Zorn schwärte unter einer Maske aus Emotionslosigkeit, lauernd im Schatten wie ein Raubtier, das darauf wartete, hervorzubrechen. Der Hunger danach, ihn hinauszulassen, wurde stärker. Es würde nicht mehr lange währen, bis dieser Hunger erneut mächtiger war als seine Angst um Josephine – bis er ausbrach, um ein weiteres Mal von Absá zurückgeschlagen zu werden?
Am Nachmittag erschien der grauhaarige Arzt ein zweites Mal, diesmal aufgelöst in blanker Angst. Wieder nahm er ihm mehrere Röhrchen Blut ab, was sich diesmal, da seine Finger beträchtlich zitterten, weitaus schwieriger gestaltete. Nathaniel erlag um ein Haar dem Drang, diesen Mann umzubringen. Doch erstens hätte es ihm nichts eingebracht und zweitens spürte er die Unschuld des Arztes, der seinerseits verzweifelt darum betete, seiner Misere mit heiler Haut zu entkommen.
Froh, noch zu leben, verließ der Mann nach Erledigung seiner Aufgabe das Zimmer und hinterließ einen Übelkeit erregenden Geruch nach Panik. Keine Minute später brachte Christian den Sack mit den Knochen und legte ihn Nathaniel vor die Füße.
„Irgendwie krank“, hörte er ihn nuscheln, bevor sich die Tür schloss.
Nathaniel zog den Sack an sich und fuhr damit fort, seine Sinne zu trainieren. Er schärfte sie, bis er selbst leiseste Stimmen hörte, deren Quelle mehrere Räume entfernt lag. Gierig
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