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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Schamanin jedoch lebte, war zu seinem Unglück nicht zu töten und forderte seinen Gehorsam eindringlicher denn je. Jetzt wollte sie auch noch, dass er seinen Stolz begrub und für eine arrogante, weiße Schnepfe arbeitete, die von nichts eine Ahnung hatte, aber den Mund aufriss, als hätte sie in Weisheit gebadet.
    Diesmal ging ihm der Wunsch der Schamanin gewaltig gegen den Strich. Ihr Drängen konnte kaum etwas mit seinem heiligen Ort zu tun haben, denn Zugang hatte er sich jahrelang verschafft, indem er einfach über die Zäune geklettert war. Also was zum Teufel war es dann? Die Alte würde vermutlich sagen, dass es das Große Mysterium so wollte. Irgendetwas in der Art. Hauptsache, es war nicht einmal im Ansatz hilfreich.
    Nathaniel bedachte sie mit einem unflätigen Schimpfwort und presste seine Hand gegen die beschlagene Wand der Dusche. Die Hitze des Wassers hatte alles mit waberndem Dampf erfüllt. Er beobachtete die Tropfen, die auf seiner Haut entstanden, größer wurden, abperlten und über seinen Arm rannen. Wenn man genau hinsah, konnte man in jedem Tropfen ein Abbild seiner selbst sehen. Winzig klein und auf den Kopf gestellt.
    Hübsch war die Frau von der Farm zweifellos, das musste er zugeben. Auf jene unschuldige, zarte Art, für die er schon immer eine Schwäche gehegt hatte. Wie sie ängstlich, tropfnass und zitternd auf dem Waldweg gesessen hatte, starrend aus riesengroßen Augen, war sein Beschützerinstinkt regelrecht mit ihm durchgebrannt. Noch immer lag der Geruch ihres kupferroten Haares in seiner Nase. Bevor sie ihm ihre Arroganz entgegengeschleudert hatte, hatte er das dringende Bedürfnis empfunden, ihren geflochtenen Zopf zu lösen, nur um den Glanz in voller Pracht bewundern zu können. Er konnte diese Frau nicht ausstehen. Aber ihr rehhafter Körper, ihre moosgrünen Augen und dieser schwere, geflochtene Zopf, von dem sich immer wieder Tropfen gelöst hatten …
    Nathaniel schauderte, denn warme Erregung floss durch seinen Körper. Aber auch Zorn.
    Kein Wort des Dankes für seinen rettenden Einsatz, stattdessen Herumgezicke und Beschimpfungen. Diese Frau nahm ihn zu sehr gefangen, löste allzu heftige Emotionen aus, die der Geist in ihm leicht als Brechstange zur endgültigen Befreiung benutzen könnte.
    Nathaniel ließ seine Hand an der Duschwand hinabgleiten. Fünf Furchen zogen sich durch das nasse Grau. Die Erinnerung ob dieses Anblicks schlug so plötzlich auf ihn ein, dass er zusammenzuckte. Fünf blutende, von Klauen gerissene Furchen, starre Augen, die den letzten Moment blanken Entsetzens für immer festgehalten hatten. Das Kind im Gebüsch. Ebenfalls tot. Zerrissen. Zerfetzt.
    Diese Erinnerung war alt. Überwuchert vom Gras der Zeit, und doch wühlte sie sich mit aller Macht aus den Tiefen seinesGeistes herauf, schüttelte den Staub des Vergessens ab und präsentierte sich mit gebleckten Zähnen. War es die Schamanin, die ihm diese Bilder einpflanzte? Wollte sie ihm zeigen, wie ungetrübt ihre Macht auch nach so langer Zeit noch war?
    Nathaniel wischte über die Glaswand und schob die Tür auf. Er würde ihr seinen Schmerz nicht zu Füßen legen. Niemals wieder. Zum zweiten Mal stand er vor dem Spiegel, der nun durch den Wasserdampf blind war, presste die Lippen aufeinander und versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Er musste dringend sein inneres Gleichgewicht wiederfinden, sonst würde er die Macht der Schamanin nur noch verstärken. Und damit auch ihre Fähigkeit, über ihn zu bestimmen.
    Fahrig riss Nathaniel seine schwarzen Boxershorts vom Handtuchhalter und schlüpfte hinein, was für ein weiteres, diesmal aber nur kleines Ärgernis sorgte. Denn die Unterhose war dank des Dampfes klamm und feucht.
    Er öffnete das Badfenster, legte seinen Talisman um und ging ins Schlafzimmer. Dort klappte er die Holztruhe auf, die nachtschwarz vor Alter neben dem Schrank stand. Vorsichtig nahm er die Pfeife heraus. Ihr etwa unterarmlanges Rohr, das menschliche Bewusstsein symbolisierend, bestand aus dem Holz der Weißesche, der Pfeifenkopf, stehend für Mutter Erde, aus rotem Tonstein aus den Heiligen Steinbrüchen in Minnesota. Drei Adlerfedern schmückten das Heiligtum, Errungenschaften aus der Zeit, da er sein Volk in viele Schlachten geführt hatte.
    Nathaniel strich über das Rohr der Pfeife, bevor er eine Metallschale und zwei Rohlederschachteln aus der Kiste nahm. Lange hatte er die heilige Pfeife nicht mehr benutzt. Sie verband den Menschen wie eine Nabelschnur

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