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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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mit dem Universum, und heute sehnte er sich danach, diese Verbindung wieder zu spüren.
    Als er auf die Veranda hinaustrat, kroch das erste Sonnenlicht durch die Silhouetten der Tannen. Spiegelglatt lag der See vor ihm. Nur winzige, auseinanderlaufende Ringe zierten ihn an manchen Stellen, wo ein tanzendes Insekt die Oberfläche mit seinen winzigen Beinen berührt hatte.
    Im Dorf, das sich unweit seines Hauses hinter einem Fichtenhain befand, hörte er Tiere und Menschen erwachen. Wie damals, an der Grenze seiner Erinnerung, durchdrang das Kläffen der Hunde und das Schnauben der Pferde den klaren Morgen. Er hörte entferntes Lachen, das Singen eines Kindes und ein nicht näher zu identifizierendes Geklapper. Es erinnerte ihn an die Kessel, die damals die Gefäße aus Rinde abgelöst hatten. Nur ein Geräusch störte seine Vision – das Geknatter eines Traktormotors.
    Vorsichtig legte Nathaniel seine Pfeife und die dazugehörigen Utensilien auf die Eichenplanken. Er nahm eine der rotschwarz gemusterten Webdecken, die aufgestapelt unter einem Wachstuch lagen, breitete sie aus und nahm im Schneidersitz darauf Platz. Über ihm durchmaßen die ersten Schwalben den Morgenhimmel und sangen ihr hohes, schrilles Lied. Es würde ein warmer Tag werden. Und wenn er sich träge und erfüllt von schwerer Sommerhitze dem Ende zuneigte, würde Nathaniels Leben erneut einen anderen Weg einschlagen. Oder auch nicht.
    Er brauchte dringend Ratschläge. Irgendeinen Fingerzeig in die Richtung, die ihm bestimmt war. Natürlich musste er sich in letzter Konsequenz dem Willen der Schamanin beugen, doch Rituale wie diese gaben ihm zumindest die Illusion von Selbstbestimmung. Er hoffte, dass ihr Weg auch der Weg der Geister sein würde, denn in dem Fall konnte er sich einreden, seine Entscheidung aufgrund einer Vision getroffen zu haben. Wie es jeder Krieger tat. Oder es zumindest tun sollte.
    Während er die Pfeife stopfte, verbrannte er in der Metallschale Süßgras und Salbei, um gute Geister anzulocken und böse zu vertreiben. Schließlich zog er sie von Süden nach Norden und von Osten nach Westen durch den Rauch, zuletzt im Uhrzeigersinn in alle sechs Himmelsrichtungen. Erst dann zündete er den Tabak im Pfeifenkopf an.
    Vier Züge widmete Nathaniel den Großvätern der Himmelsrichtungen. In Form von Rauch stieg der Atem des Lebens in den Morgenhimmel hinauf, nahm seine Botschaft mit und brachte sie zu den Geistern. Ein lauer Wind kam auf, als er den letzten Zug genommen hatte. Die Adlerfedern streiften sanft Nathaniels Brust. Trost lag in dieser Berührung. Er wartete eine Weile, lauschte auf die Stille und vollführte das Ritual ein weiteres Mal. Würzig durchströmte der Geschmack des Tabaks seine Kehle, Ruhe und friedvolle Erinnerungen mit sich bringend. Nach dem dritten Durchgang ließ Nathaniel die Pfeife in seinen Schoß sinken und betrachtete sie. Die blaue und grüne Farbe ihrer Bemalung stellte sinnbildlich den Himmel und die Erde dar. Sonne und Mond. Es war gleichzeitig ein Symbol für den harmonierenden Gegensatz von Männlichem und Weiblichem.
    Als er seine Augen schloss und den Geist auf Reisen schickte, tauchten Bilder vor ihm auf. Einhundertfünfundvierzig Jahre zerschmolzen zu nichts. Gemeinsam mit seinem Sohn Cuncana paddelte er einen Fluss hinunter und sah die endlosen Hügel der Prärie an sich vorbeiziehen. In gemächlichen Windungen floss der Strom auf den Horizont zu, Geheimnis und Abenteuer verheißend.
    „Siehst du, wie du das Paddel eintauchen und durch das Wasser ziehen musst?“ Nathaniel schnalzte mit der Zunge, um die Aufmerksamkeit des Kleinen auf sich zu lenken. „Siehst du es? Jetzt mach es nach.“
    Cuncana tat wie geheißen und strahlte vor Stolz, als das Paddel lautlos den Strom durchschnitt, so, wie es sein musste.
    „Gut gemacht“, lobte Nathaniel. „Bald wirst du allein die Stromschnellen bezwingen. Du wirst sehr jung sein, wenn du dir deine erste Feder verdienst.“
    Wind fuhr durch Cuncanas Haar, als er lachte. Jener frei atmende Wind der Prärie, der längst vergangen war. So, wie die riesigen Herden und die bunten Zelte an den Ufern der Flüsse der Vergangenheit angehörten. Über ihm färbte sich der staubige Sommerhimmel glutrot. Die Wärme des Windes verwandelte sich in die Wärme eines Feuers. Eine weitere Erinnerung, wohltuend und tröstend. Er lag im Tipi hinter seiner Frau Petala, schmiegte sich an ihren nackten Körper und ließ seine Lippen über ihren Nacken wandern, nach den

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