Nathaniels Seele
winzigen Härchen tastend, die ihre Haut überzogen. Sie liebten sich sanft und leise, denn neben ihnen schlief Cuncana.
„Eines Tages werden wir gemeinsam in das Land jenseits des Sonnenuntergangs gehen“, flüsterte Nathaniel. „Wir werden dort sein, wo die Großen Jäger sind, und gemeinsam lassen wir eine Fackel am Firmament brennen. Unsere Kinder werdennachts zu uns hinaufblicken und wissen, dass es uns gut geht. Sie werden ihren Kindern unsere Fackel zeigen, und diese wiederum zeigen sie ihren Kindern. So werden wir gehen und doch für immer bleiben.“
„Es sind viele einsame Seelen dort oben.“ Petala schmiegte sich noch näher an ihn und zog das Bisonfell bis an ihr Kinn, denn durch den Rauchfang des Zeltes zog eine kühle Brise herein. „Es sind mehr blasse als helle Sterne. So viele Fackeln, die allein brennen.“
„Weil nicht alle lieben.“ Nathaniel bedeckte den schweißnassen Körper seiner Frau mit Küssen. Schließlich lagen sie still nebeneinander, dem Wind, dem Feuer und dem Gesang der Ziegenmelker lauschend, die draußen im Mondschein jagten.
„Aber wir tun es“, Petala lächelte zu ihm auf. „Wir tun es so sehr, dass es wehtut. Aber ich würde euch nicht weniger lieben wollen.“
Nathaniel hörte die Worte in seiner Erinnerung widerhallen. Erinnerungen wie diese waren kostbare Schätze. Dinge, die ihm nicht einmal Absá oder die Ewigkeit nehmen konnten.
„Tawitko“, flüsterte er seinen alten Namen, verwundert über das Gefühl, ihn nach langer Zeit wieder auszusprechen. „Maka kin le, mitawa ca.“
Wieder kam ihm die Frau von der Farm in den Sinn. An sie zu denken war nicht erbaulich, sondern zehrte an seiner Contenance. Nathaniel schüttelte den Kopf. Hier und jetzt durften seine Gedanken nichts mehr fokussieren. Sie mussten vorbeiziehen wie die Wolken. Federleicht, vom Wind getrieben, hoch über allem Weltlichen. Nur so würde seine Botschaft ihren Weg finden. Mit schwindender Klarheit nahm er noch wahr, dass sich der verschlafene Chinook zu ihm gesellte. Würdevoll saß der Hund neben ihm, als Nathaniel von der Wirklichkeit in die Traumwelt abdriftete. Endlich fand sein Geist die Ruhe, die er brauchte. Alles verwandelte sich in selige Schwerelosigkeit. Das Kreischen der Schwalben, sein Herzschlag, die Wärme der Sonne, der Rhythmus seines Atems, all das hüllte ihn behutsam ein, verschmolz zu einer Einheit und ließ die Gedanken an alles Weltliche in weite Ferne rücken. Wind erfasste sein Haar. Er streichelte über sein Gesicht, flüsternd und säuselnd. Die Geister sprachen mit ihm. Und er hörte ihnen hoffnungsvoll zu.
Campbell-Farm
„Sah er gut aus?“
Es war die erste Frage, die Jacob ihr nach einer grob zusammengefassten Schilderung des vergangenen Abenteuers stellte. Josephine wusste, worauf der alte Mann anspielte. Seiner Meinung nach war es längst Zeit, neue Perspektiven und neue Lebensfreude in Angriff zu nehmen. Eine Begegnung mit einem geheimnisvollen Mann kam ihm gerade recht.
„Ja“, gab sie zu. „Wenn man auf dunkle Typen steht, die undurchsichtiger sind als der Tümpel auf der Kuhweide. Und wenn man es mag, angeknurrt und gewürgt zu werden.“
Jacobs Gesicht entgleiste. „Er hat dich gewürgt?“
„Nicht direkt.“ Josephine rührte in ihrem Kaffee, der größtenteils aus Milch und Zucker bestand. Die Sonne war soeben aufgegangen und sandte ihre ersten Strahlen durch die Küchenfenster. Dank der Tatsache, dass die Scheiben seit Monaten nicht mehr geputzt wurden, besaß das Licht einen milden, vom Dreck abgetönten Schimmer. Es war ein weltfremder Moment. Noch immer seit so vielen Jahren. Sie, der ausgemachte Morgenmuffel, der bei Sonnenaufgang in Jeans und einem alten, grauen Männerhemd an einem schätzungsweise zweihundert Jahre alten Eichentisch hockte, um sich mehr schlecht als recht auf einen arbeitsreichen Tag vorzubereiten.
Neben ihr auf der Ofenbank lag Noname, der schwarze Kater.
No-Name
hatten sie kurzerhand gewählt, weil Daniel und sie sich nach der Geburt des Tieres partout nicht auf einen Namen hatten einigen können. Schnurrend rollte sich der Kater auf den Rücken und präsentierte seinen Bauch, darauf hoffend, dass einer der beiden anwesenden Menschen dieser Einladung nicht widerstehen konnte. Noname mochte den Winter weitaus lieber. Denn in den kalten Tagen und Nächten bollerte der Ofen mit aller Kraft und erfüllte seinen Lieblingsplatz mit vulkanischer Hitze.
„Nun ja“, murmelte Josephine nach einer Weile, in der
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