"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
daraufhin einen Vortrag, dass »Stadtguerilla ein harter Job« sei. Unter dem Druck der Illegalität würden sich die Aggressionen in der Gruppe nach innen wenden. »Und das musst du aushalten«, sagte er, »sonst hast du bei uns nichts zu suchen.« Die Frau trennte sich von der RAF und wurde bald verhaftet.
Die Aussteigerin hatte zuvor noch ein einschneidendes Erlebnis mit Baader. Als er in einer konspirativen Wohnung in Frankfurt mit seiner Pistole herumhantierte, löste sich versehentlich ein Schuss; das Projektil streifte ihre Hüfte. Als ihre Freundin eine legale Genossin anrief, die einen Arzt besorgte, machte Baader ihr eine Szene, wie sie denn die Gruppe so leichtsinnig gefährden könne.
Nicht nur Ulrike Meinhof beschlichen Zweifel am Vorgehen der Gruppe. Manfred Grashof, der Fälscher der RAF, wurde im Januar 1971 für einen Bankraub von West-Berlin nach Kassel beordert. »Da stand ich plötzlich in einer Stadt, in der ich nicht einmal den Weg zum Bahnhof kannte«, erinnert er sich. Das hatte nichts mehr mit der Devise Mao Zedongs zu tun, fand er, nach der sich »die Revolutionäre im Volk wie Fische im Wasser« bewegten.
Grashof musste bald einen schweren Schlag hinnehmen. Er hatte seine Freundin Petra Schelm zur RAF gebracht. Sie war zwanzig Jahre alt, hatte Friseuse gelernt und war für die Tarnung der Gruppe mit gefärbten Haaren oder Perücken zuständig. Als sie am 15. Juli 1971 mit einem anderen RAF-Mann in Hamburg in einem BMW 2002 ti unterwegs war, wussten die beiden nicht, dass die Polizei in ganz Norddeutschland unter dem Decknamen »Kora« die bislang größte Fahndungsaktion gestartet hatte.
Als das RAF-Duo an eine Straßensperre der Polizei kam, gab Schelm Gas. Nach einer wilden Verfolgungsjagd und Schießerei tötete ein Polizist die RAF-Frau mit einem Kopfschuss aus seiner Maschinenpistole. Auf die Frage, warum der Beamte nicht versucht habe, Schelm kampfunfähig zu schießen, antwortete der Hamburger Polizeisprecher: »Waren Sie eigentlich schon mal im Krieg?«
RAF-Frau Petra Schelm.
Petra Schelm war die Erste von insgesamt 21 Mitgliedern der RAF, die bis zum Jahr 1999 den bewaffneten Kampf mit ihrem Leben bezahlen sollten. Zur Wirkung von Schelms Tod auf die Gruppe sagte die RAF-Frau Irmgard Möller später: »Der Zusammenhalt wurde dadurch auch enger.« 6 Gleichzeitig setzte die Dynamik der Rache ein. Schelms Freund wollte spontan in das Polizeirevier einmarschieren, aus dem der Todesschütze kam, und dort ein Blutbad anrichten. Auch wenn die übrigen Mitglieder der Gruppe ihm das ausredeten, Polizei und Justiz wurden zum Hauptfeind der Gruppe.
Gut drei Monate nach dem Tod Petra Schelms kam es in Hamburg am 22. Oktober 1971 zu einem weiteren fatalen Zusammentreffen. Nachdem sich rund zehn RAF-Leute in einer konspirativen Wohnung versammelt hatten, musste Ulrike Meinhof noch einmal runter, um zu telefonieren. Zu ihrer Absicherung nahm sie Margrit Schiller und Gerhard Müller mit, die beide vom SPK zur RAF gestoßen waren. Zwei Polizisten in Zivil, die Streife fuhren, erschien Meinhof verdächtig. Als sie ihren Ausweis kontrollieren wollten, rannte sie los. Müller lief hinterher.
Als der Zivilfahnder Norbert Schmid und sein Kollege das verdächtige Paar fast erreicht hatten, drehte Müller sich um und schoss sechs Mal. 7 Im Krankenhaus konnte nur noch Schmids Tod festgestellt werden. Der zweifache Vater war der Erste von insgesamt 33 Menschen, die von der RAF ermordet wurden.
Gerhard Müller distanzierte sich vier Jahre später von der RAF und sagte detailliert aus. Im Gegenzug wurde er für den Polizistenmord nicht angeklagt. Für andere Straftaten bekam er zehn Jahre Gefängnis, wurde nach knapp sieben Jahren aus der Haft entlassen und mit einer neuen Identität ausgestattet. Ein Teil von Müllers Aussage - wahrscheinlich der, in dem er den Mord gesteht - wurde vom Bundesjustizministerium »zum Wohle der Bundesrepublik« gesperrt. Die Blätter liegen bis heute bei der Bundesanwaltschaft unter Verschluss.
Polizei und Justiz standen der RAF zunächst ziemlich hilflos gegenüber. Straftäter, die derartig entschlossen, organisiert und intelligent vorgingen, waren in der Bundesrepublik ein Novum. Im Juni 1971 beschloss das Kabinett Willy Brandts, den Nürnberger Polizeipräsidenten Horst Herold zum Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA) zu ernennen. Vier Monate später ordnete Herold an, dass die BKA-Sicherungsgruppe Bad Godesberg eine »SoKo Baader-Meinhof« bildete.
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