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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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ein Glas Sekt. Der dunkelhaarige Mann sitzt mit seiner Begleiterin schräg hinter Diana Müll. Sie kann es sich nicht verkneifen, mit ihren Kolleginnen ein paar Witze über sein kurioses Jackett zu machen. Wenn sie allerdings gewusst hätten, was er vorhat, wäre ihnen das Lachen schlagartig vergangen.

    Sobald die Stewardessen das Essen verteilt haben, springt des Paar auf. Er hat jetzt eine Pistole in der Hand, sie eine Handgranate. »Don’t move!«, schreien sie, während sie durch den Gang nach vorne laufen. »Don’t move!« In der ersten Klasse sind ebenfalls zwei junge Passagiere aufgesprungen, die bewaffnet sind. Der Mann in dem kuriosen Jackett boxt eine Stewardess aus dem Weg, springt ins Cockpit und brüllt: »Go out! Go out!« Dann zieht er den Kopiloten heraus.

    Es ist 13 Uhr 20 deutscher Zeit. Die »Landshut« ist rund zwanzig Kilometer von Marseille entfernt. An Bord befinden sich zwei Piloten, drei Stewardessen und 86 Passagiere, darunter sieben Kinder; das jüngste ist drei Jahre alt. Der Mann in dem kuriosen Jackett greift sich das Mikrofon der Bordsprechanlage. »Ich bin Captain Martyr Mahmud«, brüllt er. »Das Flugzeug ist entführt. Wir sind keine Terroristen, wir sind Freiheitskämpfer! Wir fordern die Freilassung von Genossen in deutschen und türkischen Gefängnissen. Befolgt unsere Befehle. Wer nicht gehorcht, wird sofort exekutiert!«

    Die Flugzeugentführer zwingen die schockierten Passagiere, sich umzusetzen. Sie trennen die jüngeren Männer und setzen sie auf Fensterplätze. Sie konfiszieren alles Handgepäck und stapeln es auf den Sitzen der ersten Klasse. Dann durchsuchen sie die Passagiere. Mahmud bringt an den Wänden der Maschine Plastiksprengstoff an. Von Jürgen Schumann, dem Kapitän der »Landshut«, will er wissen, ob der Treibstoff bis Zypern reicht. Als Schumann verneint, befiehlt er ihm, zunächst nach Rom zu fliegen.

    Zu diesem Zeitpunkt hält die RAF Hanns Martin Schleyer schon seit 38 Tagen gefangen. Bundeskanzler Helmut Schmidt ist nach wie vor entschlossen, nicht auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Den Fahndern aber ist es nicht gelungen, die mittlerweile in Brüssel versteckte Geisel zu finden. Mit der Entführung der »Landshut« haben die Terroristen den Druck deutlich erhöht. Das zeigt sich auch in den Meinungsumfragen, die die Bundesregierung machen lässt. Hans-Jürgen Wischnewski, Staatsminister im Kanzleramt, erinnerte später, »dass die Bevölkerung der Bundesrepublik, solange wie nur Dr. Schleyer gefährdet war, forderte, der Staat müsse hart bleiben.« Nachdem aber die Urlauber entführt worden waren, »drehte sich die Stimmung«. 2

    Als die RAF-Kidnapper am Tag der »Landshut«-Entführung wieder Polaroidfotos und ein Video von Schleyer machen, zwingen sie ihn, sich vor ein neues Plakat zu setzen. Auf dem steht: »Commando Siegfried Hausner, Commando Martyr Halimeh.« Die Entführer verschicken vier verschiedene Schreiben, darunter ein »ultimatum an den kanzler der brd«. Darin wird nicht nur die Freilassung der elf RAF-Gefangenen gefordert, sondern auch von zwei in der Türkei inhaftierten militanten Palästinensern; darüber hinaus ein Lösegeld von 15 Millionen US-Dollar. »jeder versuch ihrerseits zu verzögern oder zu täuschen, hat das unmittelbare ende des ultimatums und die sofortige exekution von herrn hanns martin schleyer und aller passagiere und der crew des flugzeugs zur folge.« Gezeichnet ist das Schreiben mit »S. A. W. I. O.«. Das steht für »Struggle Against World Imperialism Organisation« oder »Organisation für den Kampf gegen den Welt-Imperialismus«.

    Auf dem Video klagt Schleyer die Hinhaltetaktik der Bundesregierung an: »Ich frage mich in meiner jetzigen Situation wirklich, muss denn noch etwas geschehen, damit Bonn endlich zu einer Entscheidung kommt? Schließlich bin ich nun fünfeinhalb Wochen in der Haft der Terroristen und das alles nur, weil ich mich jahrelang für diesen Staat und seine freiheitlich-demokratische Ordnung eingesetzt habe.« 3

    Die Bewacher Schleyers waren von der Flugzeugentführung nicht überrascht. Kurz nach der Ankunft des RAF-Führungspaares Mohnhaupt und Boock sowie sechs weiterer Mitglieder der Gruppe in Bagdad war ein deutscher Genosse aufgetaucht: Johannes Weinrich, Kader der Revolutionären Zellen und Vertrauter eines besonders brutalen Terroristen, des aus Venezuela stammenden Carlos. Weinrich erklärte Mohnhaupt, dass die palästinensischen Freunde sich wunderten, warum

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