"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Staaten ablehnen sollten - Angola, Mosambik, Guinea-Bissau und Äthiopien. Raspe spricht von »wir«, und Klaus ist jetzt klar, dass die Gefangenen trotz strikter »Kontaktsperre« - die Zellentüren sind mit Spanplatten und Schaumstoff abgedichtet - miteinander kommunizierten. Raspe erklärt dem BKA-Beamten auch, dass man sie offenbar hinhalte und eine polizeiliche Lösung avisiere. »Damit wäre eine politische Katastrophe programmiert«, sagt der RAF-Mann, »nämlich tote Gefangene.«
Am 8. Oktober 1977, mehr als einen Monat nach dem Beginn der Entführung Schleyers, fliegt Klaus wieder nach Stammheim. Baader hat um seinen Besuch gebeten. In der Besucherzelle erklärt er: »Die Gefangenen beabsichtigen nicht, die gegenwärtige Situation länger hinzunehmen. Die Bundesregierung wird künftig nicht mehr über die Gefangenen verfügen können.« Auf die Frage von Klaus, wie das zu verstehen sei, antwortete Baader: »Das ist eine Drohung.« Außerdem spricht er von einer »irreversiblen Entscheidung der Gefangenen«. Nur einen Tag später bittet auch Gudrun Ensslin um einen Besuch. »Sie sprach wie zuvor schon Raspe und Baader«, erinnerte sich Klaus an das Gespräch, »von Selbstmord.« Der BKA-Mann informiert den Anstaltsleiter Hans Nusser über die Selbstmorddrohungen. Doch der für die Gefangenen verantwortliche Beamte sagt dazu nur: »Letztlich wäre Selbsttötung nicht zu verhindern.«
Zwei Tage später schickt ein Staatssekretär im Auswärtigen Amt an Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der sich zu einem Staatsbesuch in Tokio aufhält, einen als »geheim« klassifizierten »Drahterlass«. Zur »fast dreistündigen Sitzung« des kleinen Krisenstabes am 9. Oktober hieß es darin: »Es lagen zwei ausführliche Äußerungen von Ensslin und Baader vor, die die Nervosität der Gefangenen widerspiegeln und Drohungen auf irreversible Entwicklungen, die auch als Selbstmordabsichten gedeutet werden können, enthalten.« Die Mitglieder des Krisenstabes hätten daraufhin, könnte man meinen, ein paar Fragen stellen müssen. Zum Beispiel: Wie wollen die Häftlinge Selbstmord begehen? Wie ließe sich das verhindern? Wie können sie trotz Kontaktsperre miteinander kommunizieren? Geschehen ist in dieser Richtung offenbar - nichts.
Klaus gelangte später zu der Überzeugung, »dass die Gefangenen mittels Radios, Plattenspielern und Lautsprechern ein perfekt funktionierendes Kommunikationssystem über zwei miteinander verbundene Kabelnetze installiert hatten«. Im Herbst 1977 habe er das aber nicht gewusst. In der Tat nutzten die RAF-Gefangenen Lautsprecher sowie Leitungen zur Übertragung des Anstaltsfunks und Stromleitungen zur Verständigung.
Kurz nachdem Klaus am Morgen des 13. Oktober 1977 mit Gudrun Ensslin gesprochen hat, werden die Karten neu gemischt. Der Lufthansa-Jet »Landshut«, stellt die Flugsicherung in Aix-en-Provence in Südfrankreich um 14 Uhr 38 fest, hat auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main seine Route verlassen. Aus dem Cockpit meldet sich ein Mann, der sich als »Captain Martyr Mahmud« vorstellt. »Dieses Flugzeug ist ganz in unserer Gewalt«, erklärt er auf Englisch mit arabischem Akzent. »Wir verlangen die Freilassung unserer Kameraden in deutschen Gefängnissen. Das ist ein Tiger gegen die imperialistische Weltorganisation. Hören Sie mich?«
Kapitel 7
Sieben Tage im Herbst
Diana Müll ist stark übernächtigt, als sie auf dem Flughafen von Palma de Mallorca zu der Lufthansa-Maschine »Landshut« läuft. Die 19 Jahre alte Verkäuferin aus Gießen hat zusammen mit sieben anderen jungen Frauen die Nacht durchgetanzt. Im Sommer hatte sie auf der Ferieninsel in der Diskothek »Graf Zeppelin« die wöchentliche Miss-Wahl gewonnen; nun hatten sie die deutschen Disko-Besitzer zusammen mit sieben anderen Gewinnerinnen noch einmal eingeladen. Eine Woche lang hatten sie gefeiert. 1
Als Diana Müll am Mittag des 13. Oktober 1977 mit ihren Miss-Kolleginnen an Bord der Boing 737 geht, erregen zwei Passagiere ihre Aufmerksamkeit: eine zierliche, hübsche Frau und ein Mann mit schwarzen Haaren und schwarzem Schnurrbart. Beide sind in ihren Zwanzigern; er trägt ein auffälliges Jackett mit großen violetten Karos. Das südländisch wirkende Paar ist ebenfalls sehr spät dran und gelangt deshalb ohne ernsthafte Kontrolle des Handgepäcks in die Maschine.
Nachdem die »Landshut« abgehoben hat, genehmigen sich die überdrehten Schönheitsköniginnen aus Deutschland erst einmal
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