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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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Sie hatte zusammen mit einem weiteren Deutschen und vier Palästinensern der PFLP-SC einen Air-France-Airbus nach Entebbe in Uganda entführt. Als israelische Soldaten die Geiseln befreiten, erschossen sie sieben der Entführer, darunter auch Kuhlmann. Als Beobachter auf israelischer Seite war Ulrich Wegener dabei, der Kommandeur der GSG 9.

    Nach dem Auftanken der »Landshut« auf Zypern gab Mahmud als nächstes Ziel Beirut an. Doch die Verantwortlichen schlossen den Flughafen für den entführten Jet, ebenso wie ihre Kollegen in Damaskus, Amman und Kuwait. Schließlich landete Kopilot Jürgen Vietor die Maschine ohne Erlaubnis in Bahrein. Um den Abzug der Soldaten zu erzwingen, die rund um die »Landshut« in Stellung gegangen waren, drohte Mahmud mit der Erschießung des Kopiloten. Vietor bat in Todesangst darum, weiterfliegen zu dürfen; erst als Mahmud bei seinem Countdown über fünf Minuten bei zwei angelangt war, fuhr ein Wagen vor, und die Soldaten zogen ab. Kurz darauf brach die »Landshut« nach Dubai auf, dem längsten Stopp ihrer Odyssee.

    Während des Aufenthalts in Dubai verschlimmerten sich die Zustände an Bord dramatisch. Als der Treibstoff verbraucht war, fiel die Klimaanlage aus. In der Wüstensonne stieg die Temperatur in der Kabine auf über fünfzig Grad. Der Gestank aus Essensabfällen, Schweiß, Urin und Fäkalien war bestialisch. Einige Frauen hatten zu menstruieren begonnen, weil sich ihre Anti-Baby-Pillen im konfiszierten Gepäck befanden. 7 Mehrere ältere Passagiere verloren das Bewusstsein und mussten mit Sauerstoffgeräten beatmet werden. Am schlimmsten war jedoch Mahmuds Terrorregime.

    Bei der Durchsuchung des Handgepäcks fand er drei Füller und Kugelschreiber der Marke »Montblanc«, die mit dem Firmenlogo geziert waren, einem weißen sechszackigen Stern. Mahmud riss die Besitzerin eines der Kugelschreiber aus ihrem Sitz und zog sie in die erste Klasse. »Das ist ein Judenstern«, brüllte er. »Du musst eine Jüdin sein.« Als die Frau das bestritt, spuckte er sie an, schlug sie und zertrat ihren Kugelschreiber. Nachdem er auch die beiden anderen Besitzerinnen von Montblanc-Stiften angebrüllt und geschlagen hatte, verkündete er: »Ich habe Juden hier an Bord entdeckt. Morgen werde ich sie erschießen. Ich stelle sie in die offene Flugzeugtür und schieße ihnen von hinten eine Kugel in den Kopf. Sie fallen automatisch aus dem Flugzeug.«

    Mahmud beließ es bei der Drohung. Die Aufgabe, mit ihm zu verhandeln, übernahm in Dubai der Verteidigungsminister, Scheich Mohammed Bin Raschid. Er verlangte die Freilassung von Kindern, Frauen und Kranken, doch Mahmud lehnte das kategorisch ab. Jetzt ging Jürgen Schumann, der Kapitän, ein hohes Risiko ein. Er bestellte bei den Unterhändlern im Tower »vier Stangen Zigaretten, zwei von jeder Sorte«, und »vier Packungen Servietten, auch zwei von jeder Sorte«. Der Scheich und Wischnewski verstanden Schumanns Hinweis, dass zwei Frauen und zwei Männer das Flugzeug entführt hätten. Entgegen der Lufthansa-Verhaltensregel für Entführungen, keine Informationen herauszugeben, versuchte Schumann, auch die Art und Zahl der Waffen der Entführer zu übermitteln. Der Verteidigungsminister von Dubai aber, der später für die Kooperation das Bundesverdienstkreuz bekam, machte einen folgenschweren Fehler: Er lobte in einem Radiointerview den Kapitän dafür, dass er wertvolle Hinweise aus der Maschine herausgeschmuggelt habe. Mahmud hörte das Interview, und Schumanns Schicksal war damit besiegelt. 8

    Kapitän der »Landshut« Jürgen Schumann.

    Der Chef der Hijacker ließ den Kapitän unter vorgehaltener Pistole im Gang niederknien und fragte ihn, ob er heimlich Informationen an die Unterhändler gegeben habe. Nachdem Schumann es eingeräumt hatte, brüllte Mahmud den vormaligen Luftwaffenpiloten an: »Jetzt wollen wir mal sehen, was du beim Militär gelernt hast. Los! Marschieren! Eins, zwei, eins zwei!« Schumann musste den Gang auf und ab paradieren. Am nächsten Morgen kündigte Mahmud an, alle fünf Minuten eine Geisel zu erschießen, wenn die Maschine nicht endlich aufgetankt würde. Diana Müll, die Verkäuferin aus Gießen, sollte die Erste sein. Mahmud holte sie an die geöffnete Flugzeugtür, presste ihr seine Pistole an die Schläfe und begann laut zu zählen. Als Müll die Zehn hörte, schloss sie die Augen. Statt des Knalls, den sie erwartete, war eine verzerrte Stimme aus dem Sprechfunkgerät zu vernehmen: »Stopp, wir tanken

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