"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
auf!« Sie hörte noch, wie Mahmud »Glück gehabt« sagte, dann brach sie ohnmächtig zusammen.
Während die meisten Entführten Mahmud als Sadisten und Psychopathen beschreiben, meinte die Chefstewardess Hannelore Piegler später, er sei »kein Menschenfeind« gewesen. Er habe sich um die Kinder und Kranken unter den Passagieren besonders gekümmert. »Mahmud war kein Ungeheuer«, schrieb sie kurz nach der Entführung. »Er war nur die ausgeprägteste Verkörperung eines Menschen, der alle Werte seines Lebens auf ein Ziel hin gerichtet hat und alles opfern würde, um es zu erreichen.«
Hans-Jürgen Wischnewski - mit zehn Millionen Mark in bar an Bord - und GSG-9-Kommandeur Wegener waren ebenfalls in Dubai gelandet. Helmut Schmidt versuchte, von dem Emir von Dubai die Erlaubnis für den Einsatz der Grenzschützer zu erhalten. Vergeblich. Die »Landshut« bekam Treibstoff und flog weiter, nach Aden, der Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Jemen.
Wadi Haddad und seine PFLP-SC-Kader hatten mit dem südjemenitischen Geheimdienst vereinbart, dass in Aden das Entführerkommando ausgetauscht, weitere Waffen an Bord gebracht und möglicherweise auch die Passagiere aus der Maschine geholt werden könnten. Der PFLP-SC-Resident in Aden war deshalb fassungslos und wütend, als er den Flughafen von Soldaten abgesperrt vorfand, die ihn nicht einmal in die Nähe des Rollfeldes ließen. Zudem hatten Soldaten Panzer und Lastwagen auf die Landebahn gefahren, um ein Aufsetzen der »Landshut« unmöglich zu machen. Doch bei der Boeing waren die Tanks wieder einmal so gut wie leer, und Kopilot Jürgen Vietor musste eine Notlandung auf einer Sandpiste versuchen. Nach seiner Erinnerung »ein Horrorunternehmen«, vor dem Schumann, Mahmud und er sich zum Abschied die Hand gaben. Zu Vietors eigener Überraschung glückte die Landung. 9
Die Palästinenser hatten, so zeigte sich in Aden, die Rechnung ohne die Deutschen gemacht. Zwar war die DDR entlang den Frontlinien des Kalten Krieges mit der Regierung Südjemens und den Palästinensern verbündet, doch war den Kommunisten die deutsch-deutsche Entspannungspolitik wichtiger. Es gibt Hinweise darauf, dass Außenminister Hans-Dietrich Genscher seinen DDR-Kollegen Oskar Fischer aus dem Bett klingeln ließ und ihn darum bat, bei der Regierung Südjemens zu intervenieren. Zudem heißt es in der Dokumentation der Bundesregierung: »Die Bundesregierung tritt mit der Regierung der DDR mehrfach in Verbindung.« Ebenso »mit der Regierung der UdSSR«. 10
In Aden erklärte Kapitän Schumann, er müsse überprüfen, ob die notgelandete Maschine noch einmal starten könne, und bekam von Mahmud die Erlaubnis, das Flugzeug zu verlassen. Doch nach einer Viertelstunde wurde Mahmud nervös. Schumann kehrte erst nach einer Stunde zurück. Höchstwahrscheinlich wollte er einen jemenitischen General dazu bringen, das Flugzeug nicht mehr starten zu lassen. Nachdem jemenitische Soldaten Schumann zurückgebracht hatten, zwang Mahmud ihn niederzuknien. »Schuldig oder nicht schuldig?«, brüllte er. Schumann stammelte etwas von »Problemen, zum Flugzeug zurückzukommen«. Mahmud schlug dem Kapitän ins Gesicht, dann schoss er ihm in den Kopf. Als Passagiere schluchzten, rief die Entführerin Souhaila Sayeh: »Ruhe! Wer jetzt heult, wird sofort erschossen!« Dank der deutsch-deutschen Solidarität mussten die Entführer weiterfliegen. Kaum hatte die »Landshut« in Aden abgehoben, sagte Mahmud: »Mogadischu. Wir fliegen nach Mogadischu.«
Je länger die Odyssee des Jets andauert, umso mehr zweifeln die RAF-Gründer in Stammheim daran, dass sie in Freiheit kommen werden. Es ist ihnen schon länger klar, dass die Bundesregierung sie nicht gegen Schleyer austau-schen will. Aber auch nach der Entführung der »Landshut« spielt Helmut Schmidt offenbar auf Zeit und sucht eine militärische Lösung. Für die Gründer der RAF bedeutet das: noch zehn bis zwanzig Jahre im Gefängnis. Baader und Ensslin, für die die RAF nicht nur ein poltisches Projekt, sondern auch ein existenzialistisches Abenteuer war, ist diese Perspektive unerträglich. Im Knast zu verfaulen, das war nicht Baaders Stil.
Heimlich mit einer Minox aufgenommene Fotos von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Und sie sind auf das Scheitern der »Big Raushole« vorbereitet. Seit über einem halben Jahr verfügen sie über Waffen. Andreas Baader hat im Plattenspieler in seiner Zelle eine Pistole versteckt; Jan-Carl Raspe
Weitere Kostenlose Bücher