"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
ihre politische Identität und konservierten ihre Wahnbilder.
Patrick von Braunmühl, Sohn des von der RAF ermordeten Diplomaten Gerold von Braunmühl, glaubt, »mit den zum Teil rigiden Haftbedingungen und der Einschränkung der Verteidigerrechte« sei der Terrorgruppe »eher noch zugearbeitet« worden. Und Braunmühl sagt: »Der Paragraph 129a, mit dem Tausende wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafrechtlich verfolgt wurden, auch wenn sie nur Texte der Terroristen dokumentierten, um sie kritisch zu diskutieren, das halte ich zum Beispiel für einen schweren Fehler, der damals gemacht wurde.« Wenn eine aktivere Auseinandersetzung mit der RAF geführt worden wäre, glaubt Braunmühl, hätte sich vielleicht die Entstehung der dritten Generation verhindern lassen. 3
Die dritte und letzte Generation der Gruppe formierte sich im Frühjahr 1984. Eine moderne Variante der Nibelungentreue war es, die drei langjährige RAF-Unterstützer dazu brachte, in den Untergrund zu gehen: die Wiesbadener Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams sowie die Schwäbin Eva Haule. Sie alle hatten über Jahre RAF-Mitglieder im Gefängnis besucht. Grams habe beim Wiederaufbau, so schrieb Haule später, »als die RAF faktisch zerschlagen war«, eine entscheidende Rolle gespielt. »Ohne ihn und seine Zähigkeit, mit der er alle praktischen Probleme angefasst und gelöst hat, wäre das nicht gegangen. Wir waren wenige, hatten so gut wie nichts in der Hand, kaum Waffen, kein Geld, wenig Erfahrung in der Organisierung der Illegalität.«
Wolfgang Grams war schon bei der Besetzung des Amnesty-International-Büros im Herbst 1974 dabei. Als nach der Erschießung Willy Peter Stolls im September 1978 in dessen Notizbuch Hinweise auf Kontakte von Grams zur RAF gefunden worden waren, wurde er verhaftet und in Frankfurt in Einzelhaft gesteckt. Er trat in einen Hungerstreik. Die Entschädigung von zehn Mark pro Tag, die er für die 152 Tage Untersuchungshaft bekam, konnte ihn nicht mit dem Staat versöhnen. Seine Freundin Birgit Hogefeld schrieb über den ehemaligen Mathematikstudenten und Taxifahrer: »Wolfgang war ein sehr ruhiger, eher in sich gekehrter Mensch«, dem »Hektik und jede Form von Stress« zuwider waren.
Für Birgit Hogefeld war der Hungertod des RAF-Mannes Meins das entscheidende Erlebnis. »Das Bild des toten Holger Meins werden die meisten, die es gesehen haben, ihr Leben lang nicht vergessen«, sagte sie später. »Dieser ausgemergelte Mensch« habe große Ähnlichkeit »mit den Toten von Auschwitz« gehabt. 4 Die Jurastudentin und Orgellehrerin galt bei den Illegalen allerdings als so fanatisch, dass diese sie zunächst nicht aufnehmen wollten. »Die gurgelt morgens mit Salzsäure«, wurde über sie gelästert.
Vier Monate nach den peinlichen Verhaftungen von Frankfurt zeigte sich, dass es die RAF doch noch gab. Mitglieder der Terrorgruppe erbeuteten bei einem Überfall auf ein Waffengeschäft in Maxdorf bei Ludwigshafen unter anderem 22 Pistolen und 2800 Schuss Munition. Das Arsenal war wieder gut gefüllt. Einen Monat später - am 18. Dezember 1984 - stellte ein RAF-Mitglied einen Audi 80 mit einer 25-Kilo-Bombe im Kofferraum auf dem Parkplatz der Nato-Schule in Oberammergau ab - doch der Zündmechanismus versagte. In einer Erklärung, »warum wir das Ziel der Aktion nicht erreicht haben«, hieß es: »der zeitzünder war so eingestellt, dass die ladung um 9.30 Uhr hochgeht - weil um diese zeit die meisten militärs in der schule sind.« 5
Führungspaar der dritten Generation, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld.
Die RAF hatte inzwischen eine Allianz mit einer kleinen französischen Terrorgruppe geschlossen, der Action Directe. Ende Januar 1985 erschoss ein Kommando der Action Directe unweit von Paris einen Direktor des Verteidigungsministeriums. Wie eng die Gruppe mit der RAF liiert war, zeigte die Kommandoerklärung. Sie war von einem »kommando elisabeth von dyck« unterzeichnet, benannt nach der 1979 in Nürnberg von Polizisten erschossenen RAF-Frau.
Eine Woche nach dem Mord in Frankreich klingelte eine zierliche Frau am Bungalow des Managers Ernst Zimmermann in Gauting bei München. Sie gab sich als Postbotin aus, die eine Unterschrift vom Hausherrn brauche. Als Frau Zimmermann sie hereinbat, tauchte ein Mann mit Maschinenpistole auf. Das Duo fesselte Frau Zimmermann, dann führte es den Vorstandsvorsitzenden der Firma MTU, die Turbinen für Tornado-Kampfjets und Motoren für Leopard-Panzer baut,
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