"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Birgit Hogefeld später, »um die Annäherung an die legale Linke« gegangen. 11 Ein auf einem am Tatort zurückgelassenen Handtuch gefundenes Haar wurde später mittels DNA-Analyse Wolfgang Grams zugeordnet.
Dank DNA-Analysen gelang es den Terrorfahndern auch, einen Anschlag in Budapest größtenteils aufzuklären. Dessen Urheber war Horst Meyer, der in Stuttgart einen Kiosk gepachtet hatte und Zeitungen verkaufte, bevor er 1984 abtauchte und sich der RAF anschloss. Anfang 1987 reiste Meyer mit vier Kampfgenossen nach Damaskus, wo die Deutschen sich bei Palästinensern in bewährter Manier militärisch ausbilden ließen. Im Spätsommer 1991, so konnte die Bundesanwaltschaft rekonstruieren, fuhr Meyer mit seiner Lebensgefährtin Andrea Klump von Athen nach Budapest. Er bereitete eine Aktion vor und mietete dafür Wohnungen und Autos. Zudem ermittelte er die Routen, auf der ein Bus einmal in der Woche vom Budapester Ostbahnhof zum Flughafen fuhr.
Am 23. Dezember 1991 war es so weit. Meyer und zumindest ein nicht identifizierter Tatgenosse stellten an einer Schnellstraße im 18. Bezirk der ungarischen Hauptstadt einen Fiat Tipo ab. Im Kofferraum des Mietwagens hatten sie zwanzig Kilogramm hochexplosiven plastischen Sprengstoff deponiert. Um eine durchschlagende Wirkung zu erzielen, hatten sie den Sprengstoff mit Stahlkugeln und -nägeln drapiert.
Meyer, der diesen Job für die »Bewegung für die Befreiung von Jerusalem« erledigte, saß in etwa 250 Meter Entfernung in einem anderen Wagen. Als sich das Zielfahrzeug gegen 9 Uhr 30 näherte, brachte der gelernte Starkstromelektriker die Höllenmaschine mit einem Hochfrequenzsender zur Detonation. Die Bombe drückte in einem Umkreis von bis zu 1000 Metern Scheiben ein, doch explodierte ein paar Sekunden früher als geplant. Sie erwischte einen dem Bus vorausfahrenden Polizeistreifenwagen und verletzte die beiden darin fahrenden Polizisten schwer. Die dreißig Insassen des Busses aber kamen mit dem Schrecken und eine paar Kratzern davon. Es waren Auswanderer aus der Sowjetunion, die von Kiew mit dem Zug nach Budapest gereist waren. Vorwiegend Familien mit kleinen Kindern; Juden, auf dem Weg nach Israel.
Tiefer als Meyer kann man als deutscher Linker nicht sinken. Er kam 1999 in Wien bei einer Schießerei mit der Polizei ums Leben.
Die Lage nach der Ermordung von Herrhausen und Rohwedder war für die Ermittler deprimierend. Seit fünf Jahren hatten sie kein Mitglied der RAF mehr verhaften können. Die bedrohten Politiker und Wirtschaftsmanager ließen sich nicht wirksam schützen. Die Botschaft der RAF lautete bei jedem Attentat: Wen wir kriegen wollen, den kriegen wir auch.
Die allermeisten der mit der RAF konfrontieren Politiker betrieben nach wie vor einen gründlichen Selbstbetrug. Sie erklärten stur, die RAF-Terroristen seien gewöhnliche Kriminelle und würden auch wie solche behandelt. Nur warum hatte der Bundestag dann eine ganze Serie von Sondergesetzen beschlossen, um die Prozesse gegen die RAF-Spitze über die Bühne zu bekommen? Warum war in Stammheim eigens eine Gerichtsburg für sie aufbetoniert worden?
Und was bis heute gilt: Warum sind die Wunden so schlecht verheilt, dass die Diskussionen über die RAF schnell emotional und unerbittlich geführt werden? Die Debatte um die mögliche Begnadigung eines gewöhnlichen Kriminellen wäre niemals so kontrovers und ausdauernd geführt worden wie die um die Freilassung des ehemaligen RAF-Mannes Christian Klar.
Schon die Auswahl ihrer Opfer zeigt, dass die RAF-Terroristen sich nicht der »alltäglichen, eigennützigen Kriminalität« zurechnen lassen, wie auch der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer feststellt. Die Kader der RAF haben keine untreuen Ehefrauen umgebracht, keine Juweliere oder Mitglieder rivalisierender Gangsterbanden. Die RAF-Kommandos töteten nicht im Affekt, sondern aufgrund kühler taktischer Überlegungen. Sie griffen ihre Opfer nicht als Personen an, sondern weil sie in dem bekämpften Staat oder der Wirtschaft wichtige Funktionen ausfüllten.
RAF-Mitglieder der dritten Generation Horst Meyer und Eva Haule.
Bundesjustizminister Klaus Kinkel stand in der Tradition seines liberalen Parteifreundes Gerhart Baum und begriff die RAF als politisches Phänomen. Er zog aus dem Scheitern der sturen repressiven Taktik gegen die Terrorgruppe und dem Ausbleiben von Fahndungserfolgen Konsequenzen. Der FDP-Politiker erklärte Anfang Januar 1992: »Der Staat muss dort, wo es
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