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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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in das Schlafzimmer. Zimmermann wurde mit einem Schuss in den Kopf ermordet.

    Die dritte Generation der RAF hatte zu ihrer Genickschusstaktik gefunden. Den Fahndern wurde auch schnell klar, dass die Gruppe handwerklich wesentlich professioneller arbeitete als ihre Vorgänger. Obwohl die Mörder Zimmermanns keine Handschuhe trugen, hinterließen sie keine Fingerabdrücke. Sie hatten sich offenbar ihre Hände mit einem Verbandsspray spurensicher gemacht.

    Die neuen Mitglieder der RAF schlüpften auch nicht mehr bei Freunden unter wie Ulrike Meinhof oder mieteten mit falschen Papieren Wohnungen wie das ihre Vorgänger getan hatten. Stattdessen übernahmen sie Studentenbuden, deren Mieter für längere Zeit ins Ausland gingen. Solche Untermieter konnte das BKA auch mittels verfeinerter Rasterfahndung nicht mehr aufspüren. Autos wurden höchstens für Anschläge gemietet, gewöhnlich bewegten sich die Terroristen - ökologisch korrekt - mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Sogar Generalbundesanwalt Kurt Rebmann räumte ein, dass er die handwerklichen Fähigkeiten der RAF-Kader bewundere: »Das sind die Deutschen, die sind super, diese geschliffene Kriminalität ist in Europa einmalig.« 6

    Theoretisch und politisch aber ließ sich bei der dritten Generation der RAF ein deutlicher Abstieg diagnostizieren. »Wir mussten zu jedem Text, jedem Bekennerschreiben der ersten Generation Arbeitsstäbe von mehreren Mann einrichten«, beschrieb der BKA-Beamte Günther Scheicher die Popularisierung der RAF-Erklärungen. »Dagegen waren die Schriftstücke der dritten Generation die reinste Bettlektüre.« 7 Für den RAF-Experten bestand der Qualitätsverlust der RAF auch darin, dass nun »ihr Kern nur noch aus konturlosen Figuren ohne Charisma bestand«.

    Auf den brutalen Zimmermann-Mord folgte ein Anschlag, mit dem die Gruppe auch noch die allerletzten der ohnehin schon minimalen Sympathien in der linksradikalen Szene verspielte. Am 7. August 1985 machte eine Frau in der Wiesbadener Diskothek »Western Saloon« dem zwanzigjährigen US-Soldaten Edward Pimental schöne Augen. Der Amerikaner verließ in Erwartung eines sexuellen Abenteuers mit ihr die Disco - und wurde am nächsten Morgen erschossen in einem Wald bei Wiesbaden gefunden.

    Warum er sterben musste, zeigte sich schon kurz nachdem seine Leiche gefunden wurde: Auf dem Parkplatz der Rhein Main Air Base explodierte eine Autobombe. Ein US-Soldat und eine Zivilangestellte kamen zu Tode, 23 weitere Menschen wurden verletzt. Die dritte Generation kopierte die Bombenkampagne gegen das US-Militär der RAF-Gründer im Mai 1972. Die Attentäter hatten Pimentals Dienstausweis benutzt, um auf das Gelände des US-Stützpunkts zu gelangen. Etliche Linke, auch RAF-Gefangene wie Karl-Heinz Dellwo, kritisierten öffentlich den Mord an dem jungen US-Soldaten. Die Illegalen erklärten dazu: »Wir haben nicht diesen verklärten, sozialarbeiterischen Blick.«

    Die RAF-Kader der dritten Generation waren in der Tat keine verklärten Romantiker. Im Juli 1986 sprengte eines ihrer Kommandos die BMW-Limousine des Siemens-Vorstandsmitglieds Karl-Heinz Beckurts. Er und sein Fahrer Eckhard Groppler kamen zu Tode. Beckurts, der sich für den Ausbau der Atomenergie eingesetzt hatte, wurde ermordet, weil sich die RAF bei der Anti-AKW-Bewegung anbiedern wollte.

    »Wir hätten im Grunde 1977, spätestens aber nach den Verhaftungen 1984 aufhören sollen«, sagt heute ein Mann der zweiten RAF-Generation, der damals im Gefängnis saß. »Ab Mitte der achtziger Jahre hatten die Aktionen überhaupt keine Linie mehr. Es gab keine politische Perspektive mehr.« Einzelne RAF-Gefangene versuchten, auf die Illegalen Einfluss zu nehmen. Aber es fehlte die Einigkeit unter ihnen.

    Wer zur dritten Generation zählte, ist bis heute nur teilweise geklärt. Sicher ist, dass es sich um eine deutlich kleinere Gruppe handelte als die zwanzig Köpfe starke Truppe, die im Herbst 1977 die Machtfrage stellte. Deren Nachfolger versuchten sich auch nicht mehr mit Entführungen oder anderen logistisch aufwändigen und personalintensiven Aktionen. Die »Kommandoebene«, wie die Terrorfahnder die RAF-Illegalen nannten, um sie von Feierabendterroristen, Unterstützern und Sympathisanten zu unterscheiden, hatte wahrscheinlich rund zehn Mitglieder. Eine zentrale Position nahmen Hogefeld und ihr Freund Grams ein. Das Paar bildete die Doppelspitze, so wie vor ihnen Gudrun Ensslin und Andreas Baader und das Duo Brigitte Mohnhaupt und

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