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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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zu Protokoll, er sei absolut sicher, dass die als Terroristin gesuchte Silke Maier-Witt in seiner ehemaligen Heimat lebe: »Ich habe mit ihr an der Medizinischen Hochschule Weimar studiert.« Monate später konnte er bei einer Befragung durch BKA-Beamte ihren Namen nachliefern: »Angelika Gerlach«, wohnhaft in Erfurt. Name und Wohnort stimmten tatsächlich, und die Stasi-Oberen wurden nervös - zumal die Meldung über das brisante Wissen der »gegnerischen Sicherheitsorgane« vom russischen Bruderdienst KGB kam, der einen westdeutschen Dienst angezapft hatte. »Du musst sofort aus Erfurt verschwinden«, erklärte ein MfS-Hauptmann seiner Inoffiziellen Mitarbeiterin »Anja Weber« alias Angelika Gerlach alias Silke Maier-Witt. Gemeinsam wurde Maier-Witts Wohnung in der Moskauer Straße 18, wie in ihren RAF-Tagen, sofort »gecleant«. Einen Tag später nahm sie Urlaub, kündigte und kehrte nicht mehr in die Augenstation der medizinischen Akademie in Erfurt zurück.

    In Ost-Berlin erhielt sie ihre nächste Identität: Sylvia Beyer, geboren am 18. Oktober 1948 in Moskau. Aber damit nicht genug: Auf Weisung ihres Führungsoffiziers unterzog sie sich auch einer Gesichtsoperation und ließ sich ihre »ausgebogene Nase« begradigen. Nach einer kleinen Odyssee durch fünf konspirative Wohnungen in Ost-Berlin und im Umland wurde sie »Leiterin der Informationsstelle« im VEB Pharma Neubrandenburg.

    Während die Stasi die RAF-Aussteigerin »umtopfte«, versuchten die Terrorfahnder des Bundeskriminalamtes die Aussage des Kommilitonen von Maier-Witt zu überprüfen. Sie baten den BND und die CIA um Hilfe, doch ein BKA-Mann notierte frustriert: »Zurückliegend hat der BND kein brauchbares Ergebnis gebracht. Es wurden vielmehr die Ermittlungsmaßnahmen um ca. neun Monate verzögert.« 6 Ein BKA-Beamter übergab daraufhin diskret dem Sicherheitsbeauftragten der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn ein Non-Paper, ohne Briefkopf und Unterschrift, mit Fragen zu Angelika Gerlach. Es blieb unbeantwortet. Im März 1988 bat ein Referatsleiter aus dem Bundesjustizministerium auf einem Empfang in der Ständigen Vertretung der BRD in Ost-Berlin einen ihm bekannten Kollegen aus dem DDR-Justizministerium um Fahndungshilfe. Zwei Jahre nach dem Hinweis auf die RAF-Aussteigerin kam überraschend eine Antwort: »Die Überprüfung der von Ihnen benannten Person hat bestätigt, dass sie sich nicht in der DDR aufhält.« Das war nicht einmal gelogen; eine Angelika Gerlach gab es zu diesem Zeitpunkt, im Frühjahr 1988, nicht mehr. Auf ein förmliches Rechtshilfeersuchen verzichtete die Bundesregierung, um ihre Entspannungspolitik nicht zu gefährden.

    Ingrid Jäger, wie Susanne Albrecht in der DDR hieß, lernte in Cottbus einen Physiker kennen und lieben. Sie heiratete ihn und bekam einen Sohn. Doch als sie ihren Mann in das Geheimnis ihrer Vergangenheit einweihen wollte, untersagte das ihr Stasi-Betreuer. Im September 1986 lag ein anonymes Schreiben im Briefkasten ihrer Wohnung in Köthen: »Wie kann man nur mit so einer Vergangenheit leben?« Die Stasi fand schnell heraus, dass Kolleginnen im West-Fernsehen eine Dokumentation von Stefan Aust über die RAF gesehen und eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der westdeutschen Terroristin Susanne Albrecht und ihrer ostdeutschen Kollegin festgestellt hatten.

    Die Betreuer brachten Albrecht und ihren Sohn sofort in einem Einfamilienhaus in Wandlitz, nördlich von Berlin unter; dann besorgten sie ihr eine Wohnung in Marzahn und ihrem Mann eine Arbeit in Dresden. Da das den Stasi-Männern noch immer zu riskant schien, sorgten sie dafür, dass Albrechts Mann im Februar 1988 nach Dubna delegiert wurde, rund hundert Kilometer nördlich von Moskau. Sie und ihr Sohn kamen mit in die Sowjetunion. Das Ehepaar arbeitete nun am Vereinigten Institut für Kernforschung und kam nur noch in den Ferien in die DDR.

    Inge Viett, die sich zwei Jahre nach den »Fehlern« auch in die DDR abgesetzt hatte, wurde ebenfalls erkannt. Eine Bekannte entdeckte ein Foto von ihr bei einer Reise in Frankfurt/Main auf einem Fahndungsplakat und identifizierte sie anhand einer Narbe an der Hand. Viett musste nach dreieinhalb Jahren Hals über Kopf wieder aus Dresden verschwinden; die Stasi schickte sie nach Magdeburg. Dort leitete sie im Schwermaschinenkombinat »Karl Liebknecht« den Bereich Kinderferien lager.

    Bis 1985 trafen sich Aussteiger einmal im Jahr in dem Konspirativen Objekt 74 mit ihren Stasi-Betreuern, um bei

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