"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Peter-Jürgen Boock.
Einer der seltenen Fahndungserfolge gelang der Polizei am 2. August 1986 in Rüsselsheim, vier Wochen nach dem Mord an Beckurts und seinem Fahrer. In dem Eiscafé »Dolomiti« fielen einem Gast zwei junge Frauen und ein Mann auf, die stets hastig auf ihrem Tisch ausgebreitete Papiere verdeckten, sobald jemand in ihre Nähe kam. Polizeibeamte nahmen das Trio fest. Eine Frau hatte zwar eine Pistole unter ihrem Rock stecken, aber zog sie nicht. Anhand von Fingerabrücken wurde sie als Eva Haule identifiziert. Das Pärchen, mit dem sie sich traf, um einen Anschlag auf das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn zu besprechen, gehörte zu einer »Kämpfenden Einheit« aus legalen Unterstützern. Von der Festnahme Haules bis zur Ergreifung des nächsten RAF-Mitglieds sollten sieben Jahre vergehen.
Und die Verhaftung Haules konnte die RAF-Killer auch nicht stoppen. Am Abend des 10. Oktober 1986 stieg Gerold von Braunmühl, Leiter der politischen Abteilung II im Auswärtigen Amt in Bonn vor seinem Haus aus einem Taxi. Als der Diplomat seine Aktentaschen aus dem Kofferraum hob, tauchte eine kleine vermummte Person auf und schoss dem Diplomaten dreimal in den Oberkörper. Der schleppte sich noch auf die andere Straßenseite, wo ihm ein zweiter Vermummter zweimal in den Kopf schoss.
Bei einer der Tatwaffen handelte es sich um jene Smith & Wesson, mit der auch Hanns Martin Schleyer erschossen wurde und die bis heute nicht gefunden wurde. Der in der Öffentlichkeit kaum bekannte Braunmühl galt dem »kommando ingrid schubert« als »zentrale figur in der formierung westeuropäischer politik im imperialistischen gesamtsystem«. Irmgard Möller, RAF-Frau der ersten Generation, sagte dagegen später: »Die Ermordung von Gerold von Braunmühl war falsch.« 8
Die fünf jüngeren Brüder Braunmühls reagierten mit einem ungewöhnlichen und mutigen Schritt: Sie veröffentlichten in der »taz« einen offenen Brief »an die Mörder unseres Bruders«. Darin schrieben sie: »Eure Sprache ist wie Beton. Fest verbarrikadiert gegen kritisches Denken, gegen Gefühle und gegen jede Wirklichkeit, die sich ihren erstarrten Begriffen nicht fügen will.« Der Brief endete mit dem Appell: »Einer menschenwürdigen Welt werdet Ihr uns mit Euren Morden kein Stück näher bringen. Hört auf. Kommt zurück.« 9
Der Brief der Braunmühl-Brüder entfachte eine heftige öffentliche Debatte: Generalbundesanwalt Kurt Rebmann empörte sich darüber, dass die Brüder den Dialog mit Mördern suchten. Linke und Linksliberale hingegen unterstützten den Versuch, die Fronten zu durchbrechen. Doch die Adressaten des Briefes, die Kader der RAF, blieben stumm.
Nach einem gescheiterten Attentat auf den Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer im September 1988 in Bonn, herrschte über ein Jahr Ruhe. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann verkündete, die RAF sei »nicht mehr so gefährlich wie früher.« 10 Doch dann ging ein RAF-Kommando mit einer technischen Präzision ans Werk, die Politikern und Wirtschaftsmanagern das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Als der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, am 30. November 1989 durch Bad Homburg zur Arbeit gefahren wurde, detonierte eine auf einem Fahrrad abgelegte, mit TNT gefüllte Hohlladungsmine. Die Explosion erfolgte so exakt, dass auch die schwere Panzerung der Daimler-Limousine nichts nützte. Der Bankier und Vertraute von Bundeskanzler Helmut Kohl starb von Splittern tödlich getroffen. Punktgenau gezündet worden war der Sprengsatz mittels einer Lichtschranke.
Die einzige Spur, die die Täter hinterließen, waren ein paar Haare - sie klebten in einer gehärteten Asphaltmasse, mit der die Terroristen einen 88 Meter langen, in den Bürgersteig gestemmten Schlitz für das Aktivierungskabel wieder verschlossen; der kleine Brocken liegt als Asservat im BKA, aber noch kann er keine Erkenntnisse liefern. »Wir bekommen die Haare nicht heraus, ohne sie zu zerstören«, sagt ein Fahnder. Vielleicht hilft irgendwann einmal eine neue Technologie.
Nach einem gescheiterten Attentat auf Innenstaatssekretär Hans Neusel im Juli 1990 bei Bonn, versucht die RAF ein Dreivierteljahr später bei den Ostdeutschen, die sich durch die Deutsche Einheit betrogen sahen, Punkte zu machen. Terroristen erschossen am 1. April 1991 mit einem Präzisionsgewehr den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder im Arbeitszimmer seines Hauses in Düsseldorf. Es sei ihnen dabei, erklärte
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