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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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Augenblick verstummte, erfüllte Summen, Zirpen und Pfeifen die Luft, das ebenso gut von winzigen Fröschen wie von Insekten stammen konnte.
    »Worauf wartest du?«, drängte Leo und griff zum Telefon. »Gib mir die Liste.« Es verging nochmals eine Stunde, bis sie Gewissheit hatten, dass keiner der drei jemanden kannte, auf den das Profil des gesuchten Tom passte.
    Audrey hatte sich längst entschlossen, anders vorzugehen. »So kommen wir nicht weiter«, kommentierte sie das Offensichtliche.
    »Was du nicht sagst.«
    »Brauchst dich nicht aufzuregen. Ich habe einen besseren Plan.«
    »Bin sehr gespannt«, brummte Leo gereizt.
    »Wir sind ja hier in Frankreich, und da hat alles seine Ordnung. Wenn unser Doktor Tom hierher gezogen ist, dann ist er auch im Computer des Meldeamts registriert, habe ich recht?«
    »Außer er spielt den Sans Papiers.«
    »Das wird er kaum freiwillig tun.«
    »Und wie willst du an die Daten herankommen?«
    Audrey warf ihr einen vielsagenden Blick zu und antwortete scheinbar gekränkt: »Dein kleines Mädchen ist inzwischen eine ausgewachsene Polizeibeamtin, schon vergessen?«
    »In Lyon.«
    »Nein, bei Interpol«, grinste sie und schwenkte ihren Ausweis. Sie schaute auf die Uhr. »Viertel nach elf. Die Zeit wäre günstig, wenn ich jetzt losfahre.«
    »Wohin?«, fragte Leo irritiert.
    »Zur Mairie natürlich.« Sie packte Notizbuch und Ausweis in ihre Tasche und wandte sich zum Gehen. »Du wartest besser hier, hast ja keine solche Hundemarke. Ich ruf dich an, sobald ich etwas weiß.« Ohne auf Leos Proteste zu achten, eilte sie durch die Hotelhalle auf die Strasse.
    Der Preis, den der gelangweilte Taxifahrer für die drei Kilometer verlangte, bewegte sich auf unverschämt zivilisiertem Pariser Niveau, aber immerhin schaffte er die kurze Strecke zum Rathaus im Süden der Stadt in weniger als fünfzehn Minuten. Die Beamtin im Büro der Einwohnerkontrolle musste erst eine Bekannte am Telefon beruhigen, bevor sie Zeit fand, sich mit der einzigen Kundin zu befassen. Audrey setzte ihre offizielle Miene auf, schwenkte wiederum die Polizeimarke so kurz, dass sie die Frau hinter dem Schreibtisch unmöglich erkennen konnte, dann sagte sie so überzeugend wie möglich:
    »Lieutenant Audrey Barrès, Interpol. Ich möchte den Chef sprechen.«
    Die Frau gab sich unbeeindruckt. Sie musterte sie misstrauisch, bevor sie ohne sonderliches Interesse fragte: »Worum handelt es sich?«
    »Das möchte ich eben dem Chef sagen.«
    »Der Chef bin ich.«
    »Oh, warum sagen Sie das nicht gleich? Hören Sie, wir suchen einen Tom Ribaut. Er ist ein wichtiger Zeuge in einem Verfahren gegen organisiertes Verbrechen. Wir haben Hinweise, dass er sich irgendwo in Guayana aufhält.«
    Auch diese dreiste Lüge beeindruckte die Frau keineswegs. »Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«, fragte sie verdrießlich.
    Audrey zwang sich zu einem verbindlichen Lächeln und antwortete ruhig: »Ich bin die Polizei, und ich weiß, dass Sie den Gesuchten in Ihrem Computer haben, wenn er sich hier niedergelassen hat. Er ist übrigens amerikanischer Staatsbürger und muss auf jeden Fall registriert sein.«
    »Mag sein, aber ohne schriftlichen Antrag darf ich keine Daten herausgeben.«
    Einen kurzen Moment wähnte sie sich im ›Haus, das Verrückte macht‹, wo der Comic-Held Asterix lange vergeblich versucht, den Passierschein A 38 zu besorgen. Fast erwartete sie, dass die Beamtin das Zeichen ›Schalter geschlossen‹ aufstellen und in die Mittagspause verschwinden würde. Sie beschloss, mehr Druck zu machen. »Das verstehe ich, aber die Sache eilt. Wir werden die Dokumente selbstverständlich nachliefern, aber ich kann nicht so lange warten. Wenn wir den Zeugen nicht schnell finden, gefährden wir weitere Menschenleben, verstehen Sie?« Sie zog das Telefon aus der Tasche, tat so, als wählte sie, während sie murmelte: »Ich rufe die Zentrale an. Sie können gerne mit dem zuständigen Kommandanten sprechen.«
    Endlich kam Leben in die träge Bürokratin. Sie fuchtelte wild mit den Armen und wehrte ab, als spürte sie die Pistole des Kommandanten auf der Brust: »Nicht nötig, kommen Sie!«
     
    Leo hatte das Handy am Ohr, bevor der erste Summton verklungen war.
    »Ich habe die Adresse«, meldete Audrey seelenruhig.
    Wenig später standen sie am Ende der Gasse südlich des Alten Hafens vor Toms Haus. Es war ein zweistöckiges Gebäude im kreolischen Stil: viel Holz, verblichene, helle Farben, Veranda und ein Blechdach, auf dem man um diese

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