Natürliche Selektion (German Edition)
träumst du? Wir durchsuchen die Fabrik nach den Drogen und Hinweisen auf die ungelösten Fälle. Den Colonel werden wir bei RDC nicht finden.«
»Oh doch. Die Bekannte von Maria bei RDC hat meine Telefonnummer nicht vergessen. Sie erwarten den Colonel morgen früh.«
Sie starrte Leo entgeistert an. »Und das sagst du mir erst jetzt?«, stöhnte sie. »Verflucht, das ändert unsern ganzen Einsatzplan!«
»Der Anruf kam vor zwanzig Minuten.«
Wehmütig betrachtete sie die unwiderstehlich würzig duftenden Gambas al ajillo und die scharfen schwarzen Oliven auf dem Nebentisch, nach denen sie süchtig war. Aber so hohl sich ihr Magen auch anfühlte, sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun als das Leben zu genießen. Sie wählte die Nummer des Inspektors und machte sich auf eine heiße Diskussion gefasst.
Humacao, Puerto Rico
Im Morgengrauen des 13. Juli zerrissen die blendend blauen Irrlichter der Polizeikavalkade die Nebelschwaden auf der Interstate 3 bei Humacao. Gespenstisch leise näherten sich die sechs Fahrzeuge der Uniformada der Einfahrt zum Fabrikgelände von Remedis Del Caribe. Audrey saß mit dem Inspektor und Leo im ersten Wagen, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Das Adrenalin in ihren Adern fegte jeden Anflug von Schläfrigkeit hinweg wie konzentriertes Amphetamin. Ihren Augen und Ohren entging nicht die geringste Kleinigkeit.
»Ich hoffe bei Gott, wir sind früh genug«, murmelte Leo beim Anblick des Hauptgebäudes.
Eine Stunde früher als ursprünglich geplant parkten sie unter den Flaggen beim Eingang. Sechs Uhr statt sieben, mehr hatte sie mit ihrem Telefonat am Abend zuvor nicht erreicht, Colonel hin oder her. Der Ablauf blieb der gleiche. Zehn Beamte mit kugelsicheren Westen und M-16 Sturmgewehren sicherten Parkplatz und Zugänge. Ihr Auftrag lautete kurz: niemand betritt oder verlässt das Gelände. Der Rest der Mannschaft begann mit der systematischen Durchsuchung der Räume. Sie folgten dem Inspektor zu den Büros der Firmenleitung, die zu dieser frühen Stunde weitgehend verwaist waren. Der Direktor würde wohl zu Hause in seiner Villa gerade unsanft aus dem Schlaf gerüttelt, stellte sich Audrey vor. Aber sie täuschte sich. Er stürzte wutschnaubend aus seinem Büro und stellte sich vor den Inspektor.
»Was erlauben Sie sich? Was soll dieser Zirkus?«, brüllte er, während er sie und Leo mit einem besonders vernichtenden Blick streifte.
Der Beamte hielt ihm den Durchsuchungsbeschluss vor die Nase und sagte freundlich: »Gut, dass Sie schon da sind. Wir möchten bitte den Colonel sprechen.«
Der Direktor gab sich unwissend. »Colonel wer? Hat er auch einen Namen?«
»Dr. Garnier, Theo Garnier. Vielleicht kennen Sie den?«, schlug Audrey hilfreich vor. Er ignorierte sie. Für ihn waren sie und Leo nur noch Luft.
»Wo ist der Colonel?«, fragte der Inspektor noch einmal. Das Lächeln auf seinem Gesicht war noch da. Es hätte einen ausgewachsenen Gorilla in die Flucht geschlagen.
Der Direktor wich unwillkürlich einen Schritt zurück und stammelte: »Ich weiß – Kendall – er hat heute Morgen eine Besprechung mit Dr. Kendall.«
»Geht doch. Und wo ist Dr. Kendall?«
»In seinem Büro im Haus II-A. Soll ich ihn anrufen?«
»Das lassen Sie besser bleiben. Sie kommen mit. Nach Ihnen Herr Direktor.«
Dr. Kendall, der leitende Pharmakologe, war nicht in seinem Büro. Sie brauchten mehr als einen Anruf, bis sie erfuhren, dass Kendall seinen Besuch kurz vor ihrer Ankunft wieder auf den Flugplatz begleitet hatte. Sie mussten dem Wagen begegnet sein. Audrey fluchte innerlich, und Leos Gesicht verriet, dass es ihr nicht besser ging.
»Nach San Juan?«, fragte sie hastig. »Wir müssen sie abfangen.«
Der Direktor schüttelte den Kopf. Er hatte seinen Widerstand aufgegeben und spielte auf gute Zusammenarbeit. »Nicht der Muñoz International. Der Colonel benutzt normalerweise den Humacao Airport.«
Audrey platzte der Kragen. »Verdammt, der ist gleich um die Ecke! Warum sagen Sie das nicht gleich?«
Der Inspektor verstand auch ohne Worte, was sie wollte. »O. K.«, grinste er, brüllte einen Befehl ins Funkgerät und sagte: »Pete und Juan fahren Sie zum Flugplatz. Ich kümmere mich um meine Schnüffler hier.«
Leo war schon draußen. Sie rannten zum Streifenwagen, der mit laufendem Motor vor dem Eingang wartete. Einer der Beamten versuchte mit rotem Kopf den Verantwortlichen des Flugbetriebs ans Telefon zu kriegen, während sie mit heulenden Sirenen auf der Interstate zurückrasten.
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