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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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seine wütenden Blicke, packte seelenruhig das dicke Dossier mit ihren Unterlagen aus und fragte: »Wo können wir den Einsatz besprechen?«
    »Hören Sie, Lieutenant«, schnaubte er, »wir besprechen gar nichts. Ich sitze hier auf einem Berg von ungelösten Fällen. Meine Leute arbeiten jetzt schon rund um die Uhr, und jedes Jahr spart man mir ein paar Stellen mehr weg. Was glauben Sie, wo Ihre famose Razzia landet in meinem Körbchen?«
    Ihre Antwort klang freundlich und kam ohne Zögern: »Zuoberst.«
    Das hatte er nicht erwartet. Er starrte sie mit offenem Mund an, wusste offensichtlich nicht, was er antworten sollte.
    »Ich möchte Ihnen erklären, warum ich das glaube«, fuhr sie in versöhnlichem Ton fort, bevor er sich vom Schreck erholte. Auch was sie ihm jetzt über den Mann mit dem Pseudonym Colonel sagte, stand in allen Einzelheiten in den Papieren auf seinem Schreibtisch. Sie wusste, dass der Comandante Rodriguez damals, als die sechs Soldaten aus der Klinik auf Vieques verschwanden, die Untersuchung leitete. Kurz nachdem der Fall ungelöst ins Archiv wanderte, wurde er zum Comandante befördert. Noch mehr verblüffte die Tatsache, die sie mit Hilfe des Genies Isaac über verschlungene Kanäle erfahren hatte: wie durch ein Wunder besaß der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Herr Rodriguez plötzlich Geld genug, um sich ein schmuckes Häuschen im vornehmen Miramar leisten zu können, ohne Bankkredit. Sie brauchte diese auffälligen Zufälle nicht zu erwähnen. Die Erinnerung an den kläglich verbummelten Fall auf Vieques genügte, um seinen Willen zur Kooperation erstaunlich schnell zu wecken.
    Das Briefing des Einsatzkommandos lief reibungslos und professionell ab, nachdem der Comandante seinen Widerstand aufgegeben hatte. Ihre minutiöse Vorbereitungsarbeit zahlte sich aus. Die hochauflösenden Satellitenaufnahmen auf ihrem Laptop zeigten Einzelheiten der Fabrikanlage von wenigen Zentimetern im sichtbaren Bereich und beinahe ebenso genaue Infrarotbilder. Die Aufnahmen stellten die ungenauen Landkarten und Stadtpläne der Polizei bei weitem in den Schatten. Selbst das Muster der Raumaufteilung im Innern der Gebäude ließ sich weitgehend aus den Wärmebildern ableiten. Wenigstens ein teilweiser Ersatz der fehlenden Katasterpläne. Der Inspektor der Special Investigations, der die Operation leiten sollte, gefiel ihr entschieden besser als sein Vorgesetzter. Sein Plan deckte sich nahezu mit ihren Vorstellungen. Der Zugriff würde koordiniert mit dem Kommando der Uniformada von Humacao am folgenden Morgen um sieben stattfinden.
    Sie war zufrieden mit der Planung, nur etwas bereitete ihr Sorgen, da sie die Leute nicht kannte. »Sie garantieren, dass nichts durchsickert?«, fragte sie den Inspektor, nachdem die andern den Raum verlassen hatten.
    »Wenn ich mich nicht auf meine Leute verlassen könnte, hätte ich den Job längst an den Nagel gehängt.« Er wirkte nicht gekränkt durch ihre Frage. Es war nur eine Feststellung.
    Eine Stunde später als geplant traf sie Leo in der Bar beim Hotel. Sie stand am Tresen und unterhielt sich prächtig mit einer Truppe brauner Jungs, die jeden spanischen Brocken aus ihrem Mund mit lautem Gelächter quittierten. Kein Wunder, denn eine beeindruckende Zahl leerer und halbvoller Gläser hatte sich um die fast leere Flasche Bacardi versammelt. Audrey klopfte ihr auf die Schultern und sagte, dass alle es hörten: »Ich störe euren Sprachunterricht nur ungern, aber wir haben einiges zu besprechen.«
    »Señores, das ist meine Chica. Sie ist sonst ganz nett«, frotzelte ihre Mutter. Unter wortreichem Protest ihrer Fans folgte sie Audrey an einen Tisch im Freien. Sie hielt das Glas mit dem bernsteinfarbigen Gift fest im Griff wie die Eule ihre Maus.
    »Mein Gott, wie viel von dem Zeug hast du in dich hinein geschüttet?«
    »Weiß nicht. Drei oder vier. Wir hatten ein sehr anregendes Gespräch.«
    Ihre Aussprache klang erstaunlich deutlich, kein Anzeichen einer schweren Zunge. »Hast du heimlich geübt?«, fragte sie Leo und meinte es keineswegs ironisch.
    Leo ging nicht darauf ein, wollte nur wissen, was die Ordnungshüter beschlossen hatten. »Morgen früh, gut.«, lächelte sie schließlich zufrieden. »Wann fahren wir los?«
    »Wir fahren gar nicht. Ich werde um fünf abgeholt. Das ist eine Polizeiaktion Doktor, Du bleibst schön zu Hause.«
    »Werde ich nicht. Ich lasse mir die Begegnung mit dem Colonel nicht entgehen.«
    Audrey traute ihren Ohren nicht. »Wovon

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