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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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ihm die Namen und wartete gespannt auf das Ergebnis seiner Abfragen. Sie musste lange warten, aber als er sich endlich aufrichtete, lag ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht.
    »Sie liegen vielleicht gar nicht so falsch mit Ihrer Vermutung«, sagte er. »Michel, Patrick, René Sagan und Lorenzo Ricci waren alle mindestens kurzfristig hier immatrikuliert. Deshalb haben wir ihre Akten mit den Lebensläufen im Computer. Ich dürfte Ihnen eigentlich keine Auskunft darüber geben, aber – na ja, bei Ihnen fällt es auch unters Arztgeheimnis, nicht wahr?«
    Sie nickte ungeduldig. »Was ist mit Alain Chevalier, dem Reporter?«
    »Er war anscheinend nie an der UPMC. Über ihn gibt es keine Unterlagen. Aber bei den andern vier Freunden gibt es auffällige Gemeinsamkeiten. Alle vier haben zur selben Zeit ein zweijähriges Masterstudium in Biologie an der ›X‹ absolviert.«
    Leo horchte auf. Biologie, fremdartige Lebensform, Infektion, das passte irgendwie alles zusammen.
    »Es kommt aber noch besser«, fuhr er fort. »Während dieser Zeit fanden verschiedene Außeneinsätze statt. Einer dieser Feldeinsätze dauerte ganze zwei Monate, deshalb ist er in den Dossiers vermerkt. Er war freiwillig, und alle vier haben daran teilgenommen.«
    Die Nachricht machte sie sprachlos. Niemals hätte sie erwartet, dass sich ihr Verdacht so schnell und gründlich bestätigen könnte. Natürlich war das noch lange kein Beweis, aber wenn es ein einschneidendes Ereignis oder einen bestimmten Ort gegeben hatte, die für Michels Schicksal bestimmend waren, könnte dieser Einsatz sehr wohl etwas damit zu tun haben. Was ihr jedoch vollends kalte Schauer über den Rücken jagte, war Haeglers nächste Bemerkung:
    »Hier steht nicht, wo der Einsatz stattgefunden hat, aber das Thema war ›Biosphäre Jura‹. Vielleicht hilft Ihnen das weiter.«
    Wie im Traum trat sie aus dem unterkühlten Gebäude wieder auf den heißen Vorplatz hinaus, noch immer den Zettel in der Hand, auf den Haegler die wichtigsten Informationen geschrieben hatte. Sie blieb stehen, starrte ungläubig auf das Stück Papier. Sie hatte einen konkreten Hinweis in der Hand. Zeit und Gegend, wo das Unbegreifliche geschehen sein könnte, standen auf diesem unscheinbaren Fetzen. Sie steckte ihn behutsam ein. Die Jagd nach der Wahrheit konnte beginnen. Zufrieden lächelnd ging sie zur Metrostation. Oben an der Treppe tippte ihr plötzlich jemand an die Schulter und hinter ihr sagte die bekannte Stimme ihrer Tochter:
    »Leo, was machst du denn hier?«
    Sie wandte sich um. Nicht allzu überrascht spottete sie: »Zufälle gibt’s. Ich wette, du hast die ganze Zeit hier draußen auf mich gewartet.«
    »Quatsch«, brauste Audrey auf.
    »Gib dir keine Mühe, meine Liebe. Ich weiß, dass du mir heimlich nachspionierst, und ich glaube dir, dass du es nur gut meinst. Kaffee?«
    Audrey nickte mürrisch. Kurz danach saßen sie sich an einem der Tische im ›Epsilon‹ gegenüber. Audrey wirkte ein wenig verlegen. Ihre Sorge rührte Leo, dennoch war sie froh, dass ihre Tochter am Montag wieder ihren Dienst antreten musste. »Du kannst wirklich beruhigt sein. Ich mache schon keine Dummheiten, auch wenn du nicht mehr hier bist.«
    Audrey musterte sie misstrauisch. »Und was hatte dein überstürzter Abgang im Hammam zu bedeuten?«
    »Gar nichts«, antwortete sie, während sie versuchte, nicht zu erröten. »Mir wurde plötzlich zu heiß.«
    »Bei der Massage«, entgegnete Audrey kopfschüttelnd. »Ich glaube dir kein Wort. Weißt du, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht.«
    »Wie wär’s mit: mir wurde plötzlich übel?«, grinste Leo.
    »Ach, vergiss es. Du weißt, ab Montag bin ich wieder in Lyon. Versprichst du mir, keine Dummheiten anzustellen?«
    »Versprochen«, antwortete sie ernst.
    »Darf man erfahren, was du in der Uni zu suchen hattest?«
    »Du wirst staunen.« Sie fasste zusammen, was sie von Haegler vernommen hatte. Noch während sie erzählte, wandelte sich der Ausdruck auf Audreys Gesicht von Überraschung zu unverhohlenem Argwohn.
    »Du wirst doch jetzt nicht anfangen, Detektiv zu spielen? Erinnerst du dich nicht, was du mir vor ein paar Sekunden versprochen hast? Keine Dummheiten.«
    Sie ergriff beide Hände ihrer Tochter, schaute ihr tief in die Augen und sagte mit eindringlicher Stimme, als redete sie mit einem Kind: »Audrey, versteh doch! Ich muss wissen, was mit Michel und seinen Freunden geschehen ist. Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, warum sie sterben mussten.

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