Natur
Natureruiert werden. Wegen des damit verbundenen Aufwands, den Längsschnittuntersuchungen mit sich bringen, und wegen der für einen Forscher langen Zeitperspektive begnügt man sich meistens mit retrospektiven Befragungen. Das so ermittelte Naturerleben in der Kindheit ist deshalb fast immer ein erinnertes Erleben.
Auf diese retrospektive Methode trifft man in den Untersuchungen von Tanner (1980) und Palmer (1993). Tanner ist schrittweise vorgegangen. Als erstes hat er die Biografien und Autobiografien von Naturschützern daraufhin analysiert, inwieweit sie Aussagen zum Naturerleben in der Kindheit enthalten. In den Schilderungen der Lebensläufe fanden sich Äußerungen wie zum Beispiel, dass man früher viele Stunden draußen in der unberührten Natur verbracht habe und dass es diese Natur der Kindheit heute leider nicht mehr geben würde. Im nächsten Schritt schickte Tanner ein Schreiben an die Mitarbeiter von im Naturschutz tätigen Organisationen. Die angeschriebenen 45 Personen wurden darin gebeten anzugeben, was ihre Entscheidung beeinflusst hat, sich im Bereich des Naturschutzes zu betätigen. Die am häufigsten genannten erinnerten Einflussfaktoren sind in Tabelle 2-6 aufgeführt.
Tabelle 2-6: Aus der Kindheit erinnerte Einflussfaktoren der späteren Betätigung im Naturschutz (Tanner, 1980, zit. bei Chawla, 1998, S. 371)
Die wichtigsten Einflüsse in der Erinnerung sind der Aufenthalt im Freien (outdoors) und das Erleben von Natur in der Kindheit. Noch etwas wichtiger als die Lehrer sind die Eltern, die das Interesse an der Natur wecken.
Palmer (1993) hat insgesamt 232 Mitarbeiter der National Environmental Education Association in Großbritannien nach den Einflüssen befragt, diezu ihrer Tätigkeit in der Umwelterziehung beigetragen haben, wobei es in diesem Fall nicht nur um die Einflüsse in der Kindheit ging. Das Draußen sein erwies sich als am wichtigsten, es wurde von 91% der Befragten angeführt. Palmer hat die Bedeutungen dieses Draußen sein noch genauer betrachtet und dabei festgestellt, dass sich dieser Prozentanteil aus drei Kategorien zusammensetzt: das Draußen sein in der Kindheit (42%), die gegenwärtigen Aktivitäten draußen (39%) und das Draußen sein im Sinne des Alleinseinkönnens (10%). Verallgemeinernd bedeutet dieses Ergebnis: Wer sich in der Umwelterziehung betätigt, hat eine starke Affinität zum Draußen, die gespeist wird aus Kindheitserfahrungen, aus dem Ort der gegenwärtigen Tätigkeiten und dem Bedürfnis nach Rückzug. In der Untersuchung von Tanner hatten 7% der Befragten das Alleinsein können als Motiv genannt.
Tabelle 2-7: Einflüsse, die zur Tätigkeit in der Umwelterziehung beigetragen haben (Palmer, 1993, zit. nach Chawla, 1998, S. 373)
Auf diesen Aspekt hatte auch schon Wohlwill (1983) hingewiesen: Draußen in der Natur muss der Mensch nicht responsiv sein, er ist keinen Kommunikationszwängen ausgesetzt wie in der Alltagswelt, die er überwiegend in beengteren Innenräumen verbringt. In der freien Natur kann er sich dem «Sozialstress» eher entziehen, ohne sich falsch zu verhalten und gegen soziale Normen zu verstoßen.
Eine weitere Untersuchung, in der der Zusammenhang zwischen den Naturerfahrungen in der Kindheit und der Wertschätzung der Natur im Erwachsenenalteranalysiert wurde, stammt von Bixler und Mitarbeitern (2002). Die Forscher fragten Jugendliche nach ihren Erfahrungen mit den Spielumwelten in der Kindheit. Zwei Gruppen, die Wildland Adventurers und die Yard Adventurers, kristallisierten sich dabei heraus. Als Wildland Adventurers wurden die Jugendlichen bezeichnet, die als Kinder oft in freier Landschaft gespielt hatten. Die Jugendlichen, deren Spielorte in der Kindheit vor allem wohnungsnahe Bereiche, zum Beispiel der Hof hinter dem Haus, gewesen waren, wurden der Kategorie der Yard Adventurers zugeordnet. Die unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens zeigten Wirkungen: Anstelle von Wegen im Park bevorzugen die Wildland Adventurers Wege in der freien Natur. Sie haben auch kaum Bedenken, dass sie sich in einer fremden Umgebung verirren könnten, wie die Yard Adventurers. Offensichtlich entwickelt sich Umweltvertrauen, wenn man als Kind die Gelegenheit hat, unbeschwert und frei die Umwelt zu erkunden. Dieses Vertrauen schließt die Überzeugung ein, dass man sich in unbekanntem Gegenden zurecht finden wird.
Dass sich häufiges Spielen in Natur reichen Umgebungen während der Kindheit in einer klaren Präferenz für Naturumwelten in
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