Naturgeschichte(n)
ein einzelnes, im Mutterkörper zurückhält, bis der Jungvogel schlüpfbereit ist, obwohl es dabei durch die Körperwärme ganz von selbst ausgebrütet würde. Die Entwicklung ging sogar in die andere Richtung: zum früheren Schlüpfen aus dem Ei und längerer, direkter Versorgung durch Füttern der Jungen im Nest. Ich komme später noch einmal darauf zurück. Nur so viel sei verraten: Es sind die » modernsten und fortschrittlichsten« Vögel, die diesen Weg gewählt haben.
Werfen wir aber zuerst einen Blick auf das Vogelei. Mit aller Bescheidenheit kann es sich ein Wunderwerk der Natur nennen. Das Vogelei ist eine einzige, durch Besonderheiten in der Entwicklung zu einer riesenhaften Form herangewachsene Eizelle. Wenn es gelegt wird, ist das Ei bereits befruchtet. Falls nicht, wird nichts daraus. Da es aber bekanntlich von einer ziemlich festen Schale aus Kalk umschlossen ist, unter der weitere, häutige Schalen das Ei zusammenhalten, kann es nur in einem bestimmten Entwicklungszustand im Körper des mütterlichen Vogels befruchtet werden.
Der genaue Zeitpunkt bleibt uns verborgen. Wir könnten ihn auch nicht, wie beim Eisprung der Frau, mit sehr genauen Thermometern feststellen. Warum, das wird gleich verständlich. Um die Befruchtung sicherzustellen, paaren sich die Vögel recht häufig. Dabei wird vom Männchen in einem sekundenschnellen Akt Sperma in die Kloake des Weibchens gespritzt. Den darin enthaltenen Samenfäden (Spermatozoen) wird jetzt höchste Präzision abverlangt. Nur wenn sie zum richtigen Zeitpunkt das Ei erreichen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es mit der Befruchtung klappt. Wenn nicht, legt der Vogel unbefruchtete Eier, wie die Legehennen, denen im Interesse unseres Frühstückseis ein Hahn vorenthalten wird.
Der Vorgang ist so kompliziert, dass man sich wundert, dass es bei den Vögeln überhaupt gelingt mit der Befruchtung. Deshalb muss es manchmal häufiger versucht werden. Wenn draußen auf der Straße ein Spatz zehn- oder zwanzigmal auf ein Spatzenweibchen hüpft, so als ob er jedes Mal das Ziel verfehlte, sollte man sich nicht täuschen lassen. Das hat schon seine Richtigkeit. Auch bei Hühnern sieht das Bespringen der Hennen nicht gerade erotisch aus. Die Paarungen anderer Vögel werden seltener beobachtet, weil auch sie bis auf wenige Ausnahmen sehr schnell vonstatten gehen. Nur wenige, wie der Strauß, die Schwäne und die Enten, haben zur Paarung ein penisähnliches Begattungsorgan. Was allerdings dazu führt, dass manche Ente auf einem Stadtparkgewässer von mehreren Erpeln gleichzeitig vergewaltigt wird. Ohne so ein Organ ginge das nicht. Aber das nur am Rande!
Nach der Befruchtung muss die Eiablage schnell passieren. Und das hängt mit der Körpertemperatur zusammen. Es ist, wie wir bereits wissen, heiß, sehr heiß im Vogelkörper. Manche, wie die meisten Kleinvögel, halten ihre Körpertemperatur nur bis auf wenige Zehntelgrade unter der Todesgrenze. Dass sie das können, hängt mit ihrer im Vergleich zu unserer ganz andersartigen Atmung und den Luftsäcken in ihrem Körper zusammen. Vögel kühlen innerlich so wirkungsvoll, dass sie sich nicht überhitzen, auch wenn sie in Daunen eingehüllt sind. Sie leben bei Körpertemperaturen von 40 bis 42 Grad Celsius und fliegen Langstrecken in Rekordzeiten. Das hat Folgen für die Eier. In einem Körper, der beständig viel zu heiß ist, funktioniert die Entwicklung nicht richtig. Die Bruttemperatur muss niedriger liegen. Die Eier müssen auf etwa 37 Grad Celsius gehalten werden – wie unser Körper auch. Das ist die richtige Temperatur für ihre ungestörte Entwicklung. Wer einen Brutapparat zu hoch einstellt, zum Beispiel auf die Körpertemperatur der Vogelart, von der die Eier stammen, tötet diese ab. Die hohe Leistung der Vögel lässt daher eine innere Eientwicklung nicht zu. Sie muss nach außen verlagert werden.
Vögel, die, was ihre Eier betrifft, am konservativsten sind, legen diese in Erdhaufen mit faulenden Pflanzen. Der Fäulnisvorgang erzeugt Wärme. Die Eier werden so ganz langsam » ausgebrütet«. Die Großfußhühner Neuguineas und Nordostaustraliens machen es so. Sogar von vulkanischem Untergrund erwärmten Boden nutzen sie als » Brutofen«. Die Entwicklung ihrer Jungen dauert am längsten.
Mit anhaltender Bebrütung verkürzen Hühner, Enten und andere Vögel die Entwicklungszeit der Küken im Ei auf die Hälfte und weniger. Ihre Jungen schlüpfen sehr reif. Meistens können sie bereits gut laufen.
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