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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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zerstören das Blut, wiederum ähnlich wie die Malaria-Erreger (Plasmodien).
    Bernhard Grzimek, der gemeinsam mit seinem Sohn Michael in den 1960 er Jahren den bewegenden Film Serengeti darf nicht sterben drehte und damit zum Begründer des Naturschutzes in Ostafrika wurde, nannte die Tsetsefliege den » besten Naturschützer Afrikas«. Denn überall, wo sie sich ausbreitet, wurden Menschen und ihr Vieh zurückgedrängt. Die Hirtennomaden können die guten Weidegründe der Wildtiere nur in der Trockenzeit nutzen, wenn keine Tsetsefliegen mehr unterwegs sind.
    Nichts außer Beinbrüchen wäre für die frühen Menschen, die nomadisch umherzogen, schlimmer gewesen als der Konditionsverlust durch die Schlafkrankheit. Die Menschen, wahrscheinlich bereits die Frühmenschen, als sie nackt und damit besonders anfällig für Insektenstiche geworden waren, mussten die Tsetse-Gebiete meiden. Sie mussten lernen, vom feinen Sirren der Mücken irritiert zu sein und auf jeden Stich gleich mit einem gezielten Schlag der Hand zu reagieren. Die Abwehr der Stechfliegen und Mücken war lebenswichtig. Wo es deren zu viele gab, blieb gar nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Nun liegt der Tsetse-Gürtel, der halbmondförmig das zentrale Kongobecken umgreift, aber nicht dauerhaft fest. In Zeiten mit viel Niederschlag dehnt er sich aus, in Trockenperioden schrumpft er.
    Diese Dynamik war während der Eiszeitperiode weitaus größer als in der Gegenwart. In den Kaltzeiten, den Eiszeiten im unmittelbaren Wortsinn, wurde es in Afrika trockener, in den Zwischeneiszeiten, den Warmzeiten, war es viel feuchter. In den Feuchtzeiten dehnten sich die Tsetse-Vorkommen stark aus, in den Trockenzeiten schrumpften sie zusammen. Im Wechsel der Kalt- und Warmzeiten während des Eiszeitalters, das gut zwei Millionen Jahre insgesamt dauerte, musste sich infolgedessen auch die Zone verschoben haben, in der die Menschen gefahrlos leben konnten. Jetzt passt plötzlich alles zusammen. Unsere Vorfahren, die » anatomisch modernen Menschen«, verließen in einem ersten Schub vor etwa 110 000 Jahren Afrika. Das geschah in einer ausgeprägten Warmzeit, die in Afrika eine große Feuchtzeit war. Menschen unserer Art erreichten damals Georgien am Schwarzen Meer, wo bei Dmanisi Knochen von ihnen gefunden wurden. Weitere Schübe folgten später, als es während der letzten Eiszeit, der Würm-Eiszeit (auch Weichsel- oder Wisconsin-Eiszeit genannt), für ein paar Jahrtausende zwischendurch wärmer und feuchter geworden war. Vor ungefähr 50 000 Jahren erreichten Menschen Europa und fertigten die Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien.
    In einer anderen, sehr ausgeprägten Warmzeit gelangte vor rund 650 000 Jahren der Vor-Neandertaler nach Europa und vor 1 , 5 bis 1 , 8 Millionen Jahren der Homo erectus. Somit passt die Tsetsefliege als Verursacher der drei großen Auswanderungen aus Afrika und mehrerer kleinerer, soweit wir sie kennen, recht gut.
    Die Reise lohnte. Jenseits von Afrika gab es ganz ähnliche Großtiere, aber keine Siechtum und Tod bringende Insekten. Über das eiszeitliche Europa zogen behaarte Elefanten, die Mammuts, ihre Fährten. Ein dickes Fell trug auch das Wollnashorn. Millionen von Rentieren und Wildpferden, Hunderttausende von Riesenhirschen und weitere, den afrikanischen Großtieren entsprechende Säugetiere lebten im Eiszeitland. Nicht einmal die Raubtiere waren allzu fremdartig, denn es gab Höhlenlöwen und Eiszeithyänen, Wölfe, die ähnlich wie die afrikanischen Wildhunde in Rudeln lebten und jagten, dazu gewaltige Bären und harmlose, aber riesenhafte Biber. Das Klima war zwar kälter, vor allem winterkalt, aber trocken. Gut genährt mit fettem Fleisch und eingehüllt in wärmende Felle, ließ sich die Kälte auch ohne Feuer ertragen. Da es wenig Wald und somit kaum Brennholz gab, konnten sich die Menschen nicht auf wärmendes Feuer verlassen. Trotzdem war das Eiszeitland gutes Land für die Menschen. Dass sie bei besonderen Kältevorkommen ins trockenere Afrika zurückwanderten, darf nicht nur angenommen werden, sondern spiegelt sich in der genetischen Vielfalt.
    Auch in jüngerer Vergangenheit spielten sich in Afrika kontinentweite Wanderbewegungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft ab. Die Niloto-Hamiten rückten südwärts vor, die Bantu wandten sich aus Westafrika zunächst nach Osten und drangen dann nach und nach bis in den Süden Afrikas vor. Dabei verdrängten sie die kleinwüchsige Pygmäenbevölkerung in die

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