Naturgeschichte(n)
gewesen. Und der Mensch lebte immerhin mehr als 95 Prozent seiner Existenz nomadisch; sesshaft sind wir erst seit ein paar Tausend Jahren.
Das Fortbewegungs- und Transportmittel der Nomaden waren die eigenen Füße, und zum Tragen benutzten sie die eigenen Hände. So begleitete der Schweiß den Weg der Menschen. Nackt zu sein, war lebensnotwenig. Nackt war aber auch der ganze Körper der Sonne ausgesetzt. Sie selektierte unerbittlich. Wer nicht genügend Melanin entwickelte, errötete zuerst heftig, dann verbrannte die Sonne die Haut. Wer sich nicht bewegte, weil er, wie die Kleinkinder, getragen werden musste, konnte nicht einmal richtig schwitzen. Unter solchen Bedingungen wird Hautfarbe selektiert. Daraus ergibt sich, dass die Unterschiede in der Hautfärbung entstanden sind, bevor Kleidung getragen wurde.
Der Grundtyp dürfte jenes Bronzebraun gewesen sein, das die San-Völker des südlichen Afrika auszeichnet, die früher Buschmänner genannt wurden. Unter der innertropischen Sonne Afrikas wurde es zu intensivem Schwarz verstärkt und in den außertropischen Regionen zu hellerem Braun abgeschwächt. Dieses musste noch heller werden und einer rein saisonalen Bräunung weichen, die zum Winter hin vollends verblasst, als der Mensch die zwar an jagdbaren Großtieren reichen, aber im Winter an Sonne armen Gebiete des eiszeitlichen Eurasiens besiedelte. Und da wir inzwischen ziemlich sicher wissen, dass anatomisch moderne Menschen mehrmals, wenigstens in drei größeren Wellen, die afrikanische Heimat verließen, fügt sich nun alles recht gut zusammen: Die sehr stark Pigmentierten wanderten als Erste vom Nordosten Afrikas über den Südrand der Arabischen Halbinsel um den Indischen Ozean herum und kamen bis Australien. Eine zweite Welle zog später in den Vorderen Orient, wo sehr frühe Funde von Homo sapiens aus Georgien vorliegen. Eine dritte brachte sogenannte Cro Magnons (nach dem französischen Hauptfundort) nach Europa, die dort die großartigen Höhlenmalereien schufen. Die sehr dunkelhäutigen Menschen blieben weitgehend innerhalb des Tropengürtels mit hoher Strahlungsintensität. Vielleicht wirkte ursprünglich, wie bei den Aborigines in Australien, die dunkle Haut als Mittel zur Aufwärmung des nackten Körpers nach kalter Nacht? Auch die afrikanischen Nächte können sehr kalt werden – eine unliebsame Erfahrung, die viele Touristen machen, weil sie Afrika mit Hitze gleichsetzen.
Die starke Aufhellung der Haut setzte in den nördlichen Breiten mit einförmiger Nahrung (Fleisch) ein. Auch die Veränderungen in den Körperproportionen spiegeln diese Entwicklung. Kompakt mit rundlichen Gesichtern in den Kältegebieten Asiens und später Nordamerikas, grazil klein oder sehr groß und schlank (= große Körperoberfläche im Verhältnis zur Körpermasse) in den Hitzegebieten Afrikas.
Und alles änderte sich, als die Kleidung » erfunden« wurde. Sie übernahm nun den Strahlungsschutz. Für die erst in historischen Zeiten in die Tropenzone eingewanderten Völker, die Indonesier, die Singhalesen in Sri Lanka oder die Europäer, die in die Tropen kamen, ergab sich keine Anpassungsnotwendigkeit in der Hautfarbe mehr. Die Gegenwart lässt sich daher nur über die Vorgänge in früheren Zeiten verstehen. Auch die Geschichte des Menschen war und ist zu einem Großteil Naturgeschichte.
Sollte diese Deutung im Wesentlichen zutreffen, so besagt sie, dass es keinen Grund gibt, mit der Hautfarbe Qualitätsurteile über die betreffenden Menschen zu verbinden. Die Hautfarbe hatte in vergangenen Zeiten ihre Funktion. In unserer Zeit ist diese weitgehend ersetzt worden durch andere Möglichkeiten, sich auf die Verhältnisse in der Umwelt einzustellen. Wir heizen zum Beispiel unsere unmittelbare Umgebung nach Möglichkeit so auf, dass typische Tropenverhältnisse zustande kommen. Bei 27 Grad Celsius befinden wir uns im » Thermoneutralzustand« mit der Umwelt, sofern wir nackt sind. Dann gibt unser Körper ohne zu schwitzen genau die Wärmemenge an die Umgebung ab, die bei den normalen Lebenstätigkeiten entsteht. Wird es wärmer oder steigt unsere Aktivität, setzt das kühlende Schwitzen ein. Wird es kälter, müssen wir uns mehr bewegen oder entsprechend kleiden.
Mit Kleidung und leichter Aktivität fühlen wir uns bei 20 bis 22 Grad Außentemperatur wohl. Deshalb heizen wir die Räume, in denen wir uns aufhalten, auf diesen Wert und wenden dafür umso größere Mengen an Energie auf, je kälter die Umgebung ist.
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