Naturgeschichte(n)
Deshalb argumentierten die Anhänger der Rassentheorie, die Vorfahren der Menschen hätten sich in mehreren verschiedenen Regionen getrennt voneinander entwickelt. Die Hautfarbe stellt für sie ein Rassenmerkmal wie einige andere auch dar, und dass es Mischlinge gebe, vor allem dort, wo verschiedene Rassen geografisch in Kontakt zueinander gekommen seien, sei schlicht logisch. Der Schritt zu Wertung und Abwertung ist nun klein. Formale Beteuerungen und Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, um sich aus dem Dilemma herauszuwinden.
Wir brauchen überzeugendere Argumente, um die Unterschiedlichkeit der Hautfarben und einiger anderer äußerer Körpermerkmale verständlich zu machen, die sich nicht für rassistische Zwecke missbrauchen lassen. Es gibt gute Anhaltspunkte hierzu, die ich mit einer persönlichen Sicht der Problematik verbinden möchte. Einen der wichtigsten Befunde liefert unser Stoffwechsel. Er läuft auf tropisch-niedrigen Touren. Unser Körper setzt nur etwa 60 Prozent der Energie um, um unser Innenleben auch ohne intensive körperliche Betätigung in Schwung und auf knapp 37 Grad Celsius Temperatur zu halten, die für ein Säugetier unserer Körpergröße (Masse) eigentlich zutreffend wäre – so wir uns mit einer Art der gemäßigten Klimabreiten vergleichen. Hunde haben als Abkömmlinge von Wölfen einen beträchtlich höheren Grundumsatz als Menschen. Für die Erklärung müssen wir noch einen weiteren, kaum minder wichtigen Befund berücksichtigen: unsere fast völlige Haarlosigkeit. Wir sind » nackte Affen«, wie uns Desmond Morris treffend nannte, denn es ist unsere Nacktheit, die uns zusammen mit dem aufrechten Gang auf zwei Beinen von den Schimpansen, unseren nächsten Verwandten unter den Menschenaffen, und darüber hinaus von allen Primaten unterscheidet.
Bekanntlich sind wir nun nicht nur an den unbehaarten Stellen unseres Körpers schwarz, weiß oder gelb, sondern überall. Das heißt, die Bedeutung der Hautfarbe können wir nur in nacktem Zustand erkennen, nicht im weitgehend angezogenen. Dass es nicht schicklich sein könnte, nackt herumzulaufen, hängt von den Moralvorstellungen der betreffenden Gesellschaft ab und nicht von der Biologie des Menschen. Die Moral lässt sich ändern oder mit Gewalt erzwingen, die Biologie kann man nicht täuschen. Sie ist » da«, auch wenn wir sie aus mehr oder minder großer Nähe zunächst nicht sehen können, weil Kleidung sie verdeckt. Wir können sie riechen, der Verräter ist der Schweiß. Und wie bei Verrätern so üblich, versucht man den Verrat zu verhindern, sobald die Gefahr erkennbar wird. Wir Menschen mindern den Schweißgeruch mit » Geruchsstoppern« oder überlagern ihn mit noch kräftigeren Gerüchen, genannt Parfüm. Los werden wir ihn deswegen nicht, außer uns ist so kalt, dass wir vor Kälte zittern und erst gar keinen Schweiß abgeben.
Wohin führt diese (Geruchs-)Spur? Der Mensch ist seiner Natur nach Läufer. Dauerläufer; Marathonläufer. Und Nomade, der weiterzieht, wenn ihn nicht äußere Zwänge oder zu viel aufgehäufter Besitz daran hindern, seinen Aufenthaltsort zu verlassen. Der Mensch ist sogar, von seinen biologischen Möglichkeiten her beurteilt, der weitaus beste Dauerläufer überhaupt. Kein Vierfüßer kann auf der Langstrecke mit ihm mithalten. Weil keiner ein so exzellentes Kühlsystem hat wie wir Menschen mit unseren Millionen und Abermillionen Schweißdrüsen auf fast der gesamten Körperoberfläche.
In der Evolution ergab dieses Kühlsystem nicht nur Sinn, sondern brachte dem werdenden Menschen den entscheidenden Vorteil ein, mit den wandernden Herden der Großtiere mitziehen zu können. Die Menschen brauchten nicht, wie es beispielsweise die Löwen müssen, den Wechsel von fetten und mageren Monaten zu ertragen. Wenn die Herden weiterziehen, brechen für die Raubtiere Wochen ohne regelmäßige Nahrung an. Das wäre insbesondere unserem Nachwuchs, den so lange hilflosen Neugeborenen, schlecht bekommen.
Nie und nimmer könnten Babys und Kleinkinder überleben, müssten die Mütter mit so extrem unregelmäßiger Ernährung zurechtkommen wie die Löwenmütter. Löwen können die Ausfälle ersetzen, weil sie mit jedem Wurf gleich mehrere Junge zur Welt bringen und dies im Bedarfsfall in kurzen Abständen. Ein Menschenkind braucht drei Jahre, bis es auf eigenen Füßen mitlaufen kann und unter Naturbedingungen von der Muttermilch unabhängig wird. Ohne ihre nomadische Lebensweise wären die Frühmenschen verloren
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