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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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Neandertaler doch Spuren in unserem Erbgut hinterlassen haben. Ein paar Prozent unserer Gene stammen von ihnen. Ob durch freiwillige Vermischung oder Vergewaltigungen von anatomisch modernen Frauen, geht daraus nicht hervor. Kraftprotze oder, neutraler, Muskelmänner, dürften viele von ihnen schon gewesen sein. Und das beeindruckt bekanntlich. Somit gibt es noch reichlich offene Fragen. Und noch viel mehr, wenn wir noch weiter in die Vergangenheit reisen. Dann sind die Funde und klaren Befunde noch rarer, aber es gibt dennoch Anzeichen dafür, dass Menschenarten während der volle zwei Millionen Jahre langen Entstehungsgeschichte unserer Gattung ausstarben. Oder eben ausgerottet wurden.
    Manche Erforscher unserer Vorgeschichte meinen, es lägen viele Leichen an unserem Weg – und erklären damit auch unsere hohe Bereitschaft, Artgenossen als Nicht-Menschen einzustufen, zu bekriegen und zu töten. Das Drama der Menschwerdung fing offenbar so richtig an, als sich unsere ganz fernen Vorfahren aufrichteten und als Zweibeiner durchs Leben gingen. Mit Übersicht und freien Händen für die Benutzung von scharfkantigen Steinen und Faustkeilen, die sie bald zu fertigen lernten. Sicher ist, dass auch die Vergangenheit nicht friedlicher war als die Gegenwart. Der größte Feind des Menschen war der Mensch. Eine Erkenntnis, die bereits vor 2000 Jahren von den alten Römern in Worte gefasst wurde, aber damals sicher auch nicht neu war. Ein Ergebnis kam dadurch freilich zustande: Es überlebte nur eine einzige Art. Das ist die tiefere Wurzel unserer Einheit. Kein schöner Befund, aber aller Wahrscheinlichkeit nach ein wahrer.

Die Reise ins Eiszeitland
    Warum haben unsere Vorfahren
Afrika verlassen?

    Warum hat der Mensch Afrika überhaupt verlassen? Wir sind die einzigen Primaten, die sich auf den Weg nach Europa machten. Eine zweite Art, die es an der äußersten Südspitze Europas frei lebend gibt, die Berberaffen von Gibraltar, waren dort angesiedelt worden. Um ihren Fortbestand bangt Britannien, weil der Überlieferung zufolge das Verschwinden der Affen das endgültige Ende des britischen Weltreiches bedeuten würde. Diese amüsante Anmerkung soll lediglich darauf hinweisen, dass Europa von Natur aus für Primaten gar nicht geeignet war. Und doch kam der Primat Mensch schon vor eineinhalb Millionen Jahren nach Europa, setzte sich hier fest und unsere Art lebt gegenwärtig mit rund einer halben Milliarde Artgenossen auf diesem Stück Asiens, das wir Europa nennen.
    Eine Klarstellung vorweg: Verlassen wurde Afrika nie. Es wanderten stets nur mehr oder minder kleine Gruppen von Menschen aus. Daher könnte die einfachste Erklärung sein, dass es zu eng geworden war und der Überschuss in die Fremde musste. Wie bei den großen europäischen Auswanderungsbewegungen in die neuen Welten Amerikas und Australiens zwischen dem 16 . und Anfang des 20 . Jahrhunderts. Die Bevölkerung hatte sich vermehrt. Die Ausfälle, welche die Pest verursachte, waren in ein bis zwei Generationen ausgeglichen, die Erträge der Felder reichten nicht mehr aus, um die zu zahlreich gewordenen hungrigen Mäuler zu stopfen, und so blieb den Menschen nichts anderes übrig als auszuwandern. Auf diese Weise besiedelten die Europäer Amerika. Gegenwärtig leben in der Neuen Welt, wie sie schon bald nach der Entdeckung durch Kolumbus genannt worden war, mehr Menschen europäischer Abstammung als in Europa selbst.
    Doch der Vergleich mit der europäischen Geschichte der letzten paar Jahrhunderte weckt Zweifel, ob dieses Modell auch für den mehrfachen Exodus aus Afrika in längst vergangenen Zeiten passt. Die Überbevölkerung Europas hatte damals Spuren hinterlassen. Die Böden waren verarmt, die Felder und Wälder übernutzt und degradiert. Fast alle größeren Tiere waren ausgerottet. Rotwild überlebte nur in herrschaftlichen Privatbesitzungen, die von Berufsjägern bis zum tödlichen Duell gegen die Wildschützen aus der Bevölkerung verteidigt wurden, von denen uns heute Sagen und Moritaten Zeugnis geben. Um wie viel mehr hätte die Natur Afrikas denaturiert sein müssen, wenn Überbevölkerung die Auswanderungen ausgelöst hätte?
    Überall, wohin der Mensch kam, sei es nach Amerika und Australien oder auf ozeanische Inseln in neuerer Zeit, rottete er die meisten oder alle Großtiere aus. Nicht so in Afrika. Ausgerechnet im Ursprungsgebiet der Menschen hielt sich der Wildbestand in fast kompletter Artenfülle über Jahrmillionen hinweg. Nichts deutet

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