Naturgeschichte(n)
halten. Die Eindrücke, die wir beim Betrachten ihres Lebens gewinnen, schwanken in der emotionalen Färbung zwischen Belustigung und Abscheu. Irgendwie spüren wir, dass es Gemeinsamkeiten gibt. Ihr Sex ist anders als der von Hunden und Katzen, Kühen und anderen Haustieren. Aber eben auch anders als unserer. Hat uns die Kultur verformt? Geformt? Weiterentwickelt? Und warum?
Damit nähern wir uns dem Kern des Problems und der Entstehung der Liebe. Ein klarer biologischer Befund hilft ein gutes Stück weiter, ein sehr wahrscheinlicher kommt verstärkend hinzu. Der klare Befund, das sind wir selbst, wenn wir geboren werden. Höchst unfertige Wesen, die die Mutter unter heftigen Schmerzen zur Welt bringt. Dafür wird sie mit einem Stoff belohnt, der auch die Liebesgefühle begleitet. »Mit Glückshormonen«. Ein besonders wichtiger ist das Oxytocin. Damit gleicht der Körper die äußerst schmerzhaften Strapazen der Geburt aus. Die Glückshormone sind eine Belohnung. Sie bewirken das Zustandekommen des Milchflusses und die Bindung der Mutter an ihr Kind. Dieses hat die Zuwendung der Mutter nötiger als die Babys unserer Primatenverwandtschaft. Denn so unfertig es in seinem Körperchen zur Welt kommt, braucht es rund ein Jahr bis es den Zustand erreicht, in dem sich das Schimpansenkind schon befindet, wenn es den Mutterleib verlässt. Nicht nur der aufrechte Gang, die ganze Kindheits- und Jugendentwicklung zieht sich beim Menschen in die Länge. Verglichen mit den Menschenaffen, brauchen wir mehr als doppelt so lang, bis wir erwachsen werden. Dabei sind die Menschenaffen schon langsam. Das viel größere und schwerere Pferd hat die besten Jahre schon hinter sich (und wenn es eine Stute ist, auch schon die meisten Fohlen), wenn der Mensch endlich zur Frau oder zum Mann geworden ist. Was bekanntlich von der Gesellschaft noch nicht einmal mit voller Selbstverantwortlichkeit gleichgesetzt wird. Volljährig gelten wir mit 18 bis 21 Jahren. Da ist das Leben vieler Säugetiere unserer Körpergewichtsklasse schon zu Ende. Spätzünder, die wir in dieser Hinsicht sind, nutzen wir gern, so verfügbar, noch weiterhin das » Hotel Mama«. Dass dies keine reine Faulheit ist, bescheinigt der Staat mit der Ausbildungsförderung.
Der langen Darlegung kurzer Sinn: Es musste sich etwas grundlegend verändern im Sexleben, damit eine so lange Zeit der Abhängigkeit des Nachwuchses von der Mutter geleistet und ertragen werden kann. Es geht ja nicht nur um ein Kind, wie heutzutage, wenn überhaupt noch, sondern um mehrere, die, wie schon ausgeführt, im Dreijahresrhythmus kommen konnten. Das erfordert eine Mutterschaftszeit von wenigstens 20 , oft aber über 30 Jahren Dauer. Zur letzten Schwangerschaft Ende der 30 oder Anfang der 40 kommen abschließend noch weitere rund 15 Jahre Betreuung dazu. 35 bis 40 Jahre Mutterschaft wären unserer Natur gemäß für den Menschen normal. Zwischen fünf und mehr als zehn Kinder pro gesunder Frau auch. Keine könnte diese immense Last allein tragen.
Single-Frauen sind in unserer gegenwärtigen Gesellschaft aus guten Gründen entweder kinderlose Selbstversorger, oder mit mehreren Kindern ohne versorgenden Vater ein Sozialfall für den Staat. Und das ist so, obwohl wir in einer Gesellschaft leben, die den Frauen eine berufliche und finanzielle Eigenständigkeit ermöglicht. In früheren Zeiten, und damit sind keineswegs allein die harten steinzeitlichen Lebensverhältnisse gemeint, wären die Kinder von einzeln lebenden Müttern verloren gewesen. Die Märchen erzählen noch von Kindern, die im Wald ausgesetzt wurden. Oder in Klöster gebracht wurden, wo ihre Überlebenschancen nicht nennenswert besser waren. Mütter und Kinder brauchten (und brauchen) einen verlässlichen Versorger. Sie können sich und ihre Kleinen nicht nach Art der Schimpansen im Wald von Kräutern und Nüssen ernähren.
Hier greift nun eine zweite menschliche Besonderheit. Wir sind in unserer Ernährung recht anspruchsvoll. Sie muss gehaltvoller, vor allem viel reicher an Proteinen sein als bei den Schimpansen. Und sie muss mehr Energie liefern. Denn unser übergroßes Gehirn verbraucht mehr als 20 Prozent unseres Energieumsatzes im Körper; zehnmal mehr als seinem Anteil an der Körpermasse zukäme.
Die Väter als Versorger der Mütter und ihrer Kinder machen den großen Unterschied zur Gesellschaftsstruktur der Schimpansen und der Bonobos aus. In beiden Gesellschaften steckt etwas, das sich beim Menschen zu etwas Neuem
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