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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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modernen Menschen die Evolution am Ende ist. Oder ob wir sie vielleicht gerade durch die medizinischen Eingriffe und die neue Ethik zum » lebenswerten Leben« in eine andere Richtung lenken. An Versuchen, die Menschheit zu verbessern, mangelte es spätestens seit dem 19 . Jahrhundert nicht, als die sogenannte Eugenik (später dann Euthanasie) weithin erklärtes Ziel war. Deshalb erneut die Frage, nur anders formuliert: Hat der Mensch die Evolution selbst in die Hand genommen?
    Eine Feststellung vorweg: Evolution verläuft sehr schnell » in« uns und sehr langsam » mit« uns. Sehr schnell, das bedeutet, dass sich die Mikroben, die unsere Gesundheit bedrohen, schneller entwickeln als die Medikamente, mit denen wir gegen sie vorgehen. Nur unser inneres Immunsystem ist noch schneller. Meistens, leider nicht immer! Es stellt sich auf Mikrobenangriffe ein, die es noch gar nicht gibt, indem es dank unserer extremen genetischen Unterschiedlichkeit Abwehrstoffe produziert, die auch gegen neuartige Mikroben wirksam sein können. Können, nicht müssen! Denn das Immunsystem weiß natürlich nicht, was alles auf unseren Körper zukommt. Es produziert Vielfalt für alle Fälle, zu denen es die Kombinationsmöglichkeiten hat. Was jenseits dieser vorhandenen Abwehr liegt, kann immer noch gezielt angegriffen werden.
    Man kann es sich so vorstellen: In unserem Körper findet unablässig ein großer Kleinkrieg statt. Wir merken nichts davon, weil das Immunsystem fast immer siegt. Siegt es einmal nicht, werden wir krank. Abwehr und Nachrüstung drehen sich gleichsam in einer Spirale des Wettrüstens. Deshalb verlieren Antibiotika so schnell ihre Wirksamkeit, vor allem wenn sie ohne zwingenden Grund, » vorsorglich«, eingesetzt werden. Diese Art von Vorsorge stellt eine grobe Nachlässigkeit dar, die andere mit dem Leben bezahlen. Am schnellsten sind die Viren, weil sie die kürzesten Vermehrungszeiten haben. Am schwierigsten in den Griff zu bekommen sind solche Eindringlinge wie die Malariaparasiten, die sich fortwährend tarnen. Den Normalfall drücken jene Bakterien aus, die bei normalen Verletzungen in den Körper gelangen. Es kommt zu einer örtlichen Entzündung. Sie schmerzt, und die entzündete Stelle wird heiß. Sie rötet sich, weil verstärkt Blut dorthin geführt wird, bis die Abwehrkräfte des Immunsystems die Lage im Griff haben. Übrig bleibt von diesem Kampf vielleicht noch Eiter. Danach ist alles wieder in Ordnung. Die Reaktion des Immunsystems zeigt, wie schnell sich die Mikroben verändern können. Es ist gleichsam schon in der Gegenwart auf Zukunft eingestellt, weil dem » Frieden« nicht zu trauen ist.
    Langsamer geht die von erfolgreichen Krankheitserregern verursachte genetische Veränderung vor sich. Nach den großen Pestepidemien hatten in West- und Mitteleuropa mehr Träger der Blutgruppe A als solche anderer Gruppen überlebt. Umgekehrt rafften Fieber wie das Gelbfieber eher die Träger von Blutgruppe A dahin, während Blutgruppe Null am besten wegkam.
    Alle Indianer und Indios von Nord- und Südamerika trugen die Blutgruppe Null, weil sie von Nordostasiaten abstammten, bei denen diese vorherrscht. Als die Spanier und Portugiesen im 16 . und 17 . Jahrhundert Krankheiten wie Masern, Grippe, Keuchhusten und Pocken einschleppten, erging es den Trägern der Blutgruppe Null schlecht. Sie waren kaum gegen diese Krankheitserreger ausgerüstet. Entsprechend verschoben sich in wenigen Generationen die mit den Blutgruppen verbundenen Häufigkeiten ihrer Träger. Auch das ist Evolution.
    Das Tempo verläuft nicht mehr wie bei den Mikroben in Monaten und Jahren, sondern in Jahrzehnten und Jahrhunderten. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die Deformierung der roten Blutkörperchen zu halbmondförmigen Gebilden. Sie eignen sich viel weniger gut für den Transport von Sauerstoff im Blut, sind dafür aber für die Malariaparasiten fast unangreifbar. Die Träger dieser Sichelzellen-Anämie genannten Krankheit erreichen zwar bei Weitem nicht die körperliche Leistungsfähigkeit oder Ausdauer von Menschen mit normalen roten Blutkörperchen, aber dafür überleben sie die Malaria weitgehend unbeschadet. Regionen mit starker Verbreitung von Malaria, wie Westafrika oder Küstenzonen des Persischen Golfs, weisen einen hohen Anteil von Menschen mit dieser Deformierung der roten Blutkörperchen auf. Kommen die genetischen Anlagen dafür von Vater und Mutter zusammen, stirbt der Nachwuchs sehr früh an Blutarmut. Überleben können

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