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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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Haltung zum Sex ausgesprochen blöd finden. Sie praktizieren ihn so hemmungslos, dass sich die Affenfelsen in Zoos insbesondere im prüden ausgehenden 19 . Jahrhundert, aber tatsächlich bis in unsere Zeit, größter Publikumswirksamkeit erfreuten. Wir bieten hingegen brutalste Gewaltszenen von Menschen gegen Menschen höchst lebensecht in den Medien.
    Diese kaum verhüllte Gewaltverherrlichung mit realistischer Darstellung des Tötens erregt offenbar so wenig öffentliches Ärgernis, dass die besten Fernsehzeiten mit Krimis besetzt werden und nicht mit Filmen, die Sex in ähnlichem Detail zeigen würden. Die Geschlechtsorgane dürfen, wenn überhaupt, auch in » freizügigen« Gesellschaften nur im » ruhenden Zustand« gezeigt werden. Dafür wird umso mehr an Nebenwirkungen geboten, über die man sich nicht beim Arzt oder Apotheker aufklären lassen kann, nämlich Eifersucht und Hass.
    Formal können wir also den Sex abhaken: Er hat zwar auch mit Fortpflanzung zu tun, aber nur in seltenen Fällen. Denn nach obiger Überlegung, dass für die Zeugung von zehn Kindern, die im Abstand von rund drei Jahren geboren werden, an die zehn Akte in dreißig Jahren ausreichen sollten, um besten Fortpflanzungserfolg zu erzielen, würde so spärlicher jährlicher Sex wohl von keiner Gesellschaft als » Erfüllung der ehelichen Pflichten« angesehen werden. Und wenn schon die Pflicht viel mehr abverlangt, was hat dann erst die Kür zu bieten! Mit Sex ist daher fraglos weit mehr verbunden als nur Fortpflanzung.
    » Fortpflanzung«, allein die Wortwahl ist schon lächerlich, da man damit, wie auch beim » Sprössling«, die Botanik zu Hilfe nimmt. Auch das Wort » Sex« entstammt einer Hilfskonstruktion, der Zahl » sechs« in einem nummerierten Kodex, den Zehn Geboten. Ach, so schwer tun wir uns mit der schönen Seite des menschlichen Lebens! Die Verdrängung der Sexualität nennen wir Kultur, Mord und Totschlag und alle anderen Formen von Gewalt und Verbrechen eingeschlossen. Während wir die verschiedenen Formen von Gewalt genauestens beschreiben, verstoßen entsprechende Darstellungen der Sexualität als Pornografie gegen die guten Sitten. Höchst zweifelhafte Sitten sind das!
    Umso überschwänglicher wird die Liebe behandelt. Romantisch verklärt zumeist, ausgeschmückt und vollgepackt mit Erwartungen, die nur allzu oft in Enttäuschungen umschlagen. Dann wird aus glühender Liebe eiskalter Hass. Dazwischen liegt und wirkt die Eifersucht. So verrückt ist der Mensch! Ist er verrückt? Blenden wir zurück in die ferne Vergangenheit, in der die Menschen in Kleingruppen lebten und als Jäger und Sammler ihr ausschweifendes Leben führten. Wie war es am Anfang? Wir wissen es nicht. Aber wir können ganz brauchbare Vorstellungen gewinnen, wenn wir unsere nächsten Verwandten betrachten, die Schimpansen und die Bonobos.
    Sie verbergen ihr Sexleben nicht. Besonders die Bonobos haben nichts dagegen, dass man ihnen zusieht, wie sie es treiben. Auch gleichgeschlechtlich und mit Kindersex. Wie beim Menschen hat ihr Sex nur wenig mit Fortpflanzung zu tun. Meistens geht es dabei um Lust. Und um den Frieden innerhalb der Bonobo-Gesellschaft, in der die Frauen weitgehend das Sagen haben. Sex befriedigt und befriedet. Der Wahlspruch der Hippies der 1970 er Jahre ( » make love not war«) könnte von ihnen stammen. Sex ist das Mittel, um (inneren) Frieden zu stiften. Und um Bindungen aufzubauen; Bindungen zwischen Bonobo-Frauen und zwischen den Geschlechtern.
    Deutlich anders verhält es sich bei den Schimpansen. In ihrer Gesellschaft dominieren die Männer. Sie entwickeln unter zum Teil sehr heftigen Kämpfen eine Rangordnung, gegen die sich die Schimpansinnen samt ihren Kindern nur durch verlässliche Freundschaften untereinander und Andienen an die führenden Männer vor allzu heftigen Übergriffen schützen können. Sex ist oft Ausdruck von Überlegenheit. Die eigentliche Zeugung wird eher heimlich abseits der Gruppe vorgenommen. Dass sie in Hitze gekommen sind, verbergen die Schimpansinnen nicht. Ihr Hinterteil schwillt auffällig an. Der äußere Zustand besagt recht klar, dass ein Eisprung bevorsteht. Dann wacht der Pascha mit allem Ausdruck von Angriffsbereitschaft darüber, dass kein anderer außer ihm zum Zuge kommt.
    Von beiden Schimpansenarten trennt uns nur ein gutes Prozent Unterschied im Erbgut. Sie sind unsere nächsten Verwandten. Und doch sind sie so verschieden von uns, dass wir sie unbewusst für Karikaturen unserer selbst

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