Naturgeschichte(n)
wichtigen Lebensverhältnissen zeigen, muss es eine gemeinsame Ursache geben. Zu dieser führt die nähere Betrachtung des Artenreichtums der Bäume.
Auf einem Quadratkilometer, stellenweise sogar auf nur einem Hektar, wachsen bis über 500 verschiedene Arten. Fast jeder Baum gehört dann zu einer anderen Art, auch wenn sich alle Vertreter der drei Hauptgruppen, der Laubbäume, der Palmen und der Schlingpflanzen (Kletterlianen), äußerlich recht ähnlich sehen. Ihr Holz entwickelt keine Jahresringe, weil es keinen Wechsel in den Jahreszeiten gibt. Aber es wird bei vielen Arten sehr hart. Tropenholz ist Hartholz, härter als Eichenholz. Härte bekommt Holz bei langsamem Wachstum.
Unsere schnell wachsenden Bäume, wie Weiden und Pappeln, sind Weichhölzer. Sie gedeihen am besten in Flussauen mit viel Wasser und warmem Sommerklima. Die Tropenbäume haben Wasser zur Genüge, Wärme und Sonnenlicht unbeschränkt, und trotzdem wachsen sie so langsam, dass ihr Holz eisenhart werden kann. Der Grund dafür liegt im Mangel an Nährstoffen für das Wachstum: in den Böden sind nicht genügend vorhanden. Der Mangel ist so groß, dass die Nährstoffzufuhr auf dem Luftweg größer ist als das, was aus den Böden kommt. Das lässt sich direkt sehen, und zwar an der Fülle von Bromelien, Farnen und Orchideen, die als Aufsitzerpflanzen (Epiphyten) in den Kronen der Tropenwaldbäume wachsen, ohne mit ihren Wurzeln den Boden zu erreichen. Alles, was sie benötigen, auch die mineralischen Nährstoffe, muss ihnen der Regen liefern. Und er bringt genug, wie die Fülle der Epiphyten deutlich zeigt. Ihre Masse kann genauen Forschungen zufolge größer sein als die des gesamten Blattwerks.
Herantransportiert werden die Nährstoffe vom Wind, speziell vom Passat, der über den Südatlantik weht. Er verfrachtet Staub aus der Sahara bis nach Amazonien und düngt die dortigen Wälder. Ihre Kronen nehmen die Nährstoffe wie ein Schwamm auf. Ihr Wurzelwerk am Boden ist so fein und so innig mit Pilzen verbunden, dass fast nichts ins Grundwasser verloren geht. Reiner als Regenwasser verlässt es über die Waldbäche den Regenwald.
In der tropischen Wärme verläuft die Zersetzung des Laubes sehr schnell. Die allgegenwärtigen Pilze – daher der modrige Geruch – entnehmen dem abgefallenen Blattwerk alles, was der Baum wiederverwerten kann. In einem rasch ablaufenden Kreislauf kehren die Nährstoffe wieder zurück in die Kronen.
Dieses weitgehend geschlossene System funktioniert aber nur, wenn der Wald genügend geschlossen bleibt. Sonst übertreffen die Verluste durch Auswaschung den Nachschub. Wie ergiebig dieser ausfällt, hängt von den Regenmengen ab. Werden sie zu gering, verhungert der Wald. Die großflächige Abholzung vermindert aber die Niederschlagsmengen, weil der Wald selbst durch Verdunstung die täglichen Schauer und Gewitter erzeugt.
Ein so in sich geschlossenes System, das von der Fernversorgung über den Atlantik lebt, erzeugt naturgemäß keine Überschüsse, die Mensch und Tier nutzen könnten. Das Einzige, was der Tropenwald wirklich in Hülle und Fülle hat, ist Sonnenenergie. Und mit der Kraft der Sonne baut er die Barrieren gegen die Nutzer. Die Pflanzen, insbesondere die Bäume, synthetisieren alle möglichen Stoffe, die Tierfraß abwehren oder die Tiere zur Spezialisierung zwingen. Jede Art von Bäumen trägt eine andere Zusammensetzung von Abwehrstoffen in sich. Daher die vielen Spezialisten unter den Tieren, vor allem unter den Insekten, die selbst oder im Larvenstadium von den Bäumen leben.
Der tropische Regenwald ganz allgemein, nicht nur der amazonische, ist das mit Abstand größte Chemielabor der Erde. Die Artenvielfalt steht damit in engster Verbindung. Sie enthält die Lösungen für die kompliziertesten chemischen Reaktionen und Verbindungen. Die Artenvielfalt spiegelt den Mangel, nicht die Fülle. Sie wird uns insbesondere bei der noch kaum bekannten Vielfalt der Pilze große Überraschungen bieten. Die Käfer und all die anderen als » Kleinzeug« abgewerteten Insekten sind der Schlüssel dazu. Mit ihrer Existenz verweisen sie auf die Synthese von Stoffen, die für uns Menschen größte Bedeutung erlangen können. Wie das Penizillin, das von einem » schmutzigen Schimmelpilz« stammt, oder das Chinin aus dem amazonischen Chinarindenbaum – das lange Zeit beste Mittel gegen Malaria.
Somit wissen wir jetzt um die Bedeutung der Vielfalt, verstehen ihren Zusammenhang mit dem Mangel und warum die Tropen so
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