Naturgeschichte(n)
verdanken wir unsere eigene Artbezeichnung Homo sapiens. Es ist vielleicht mehr als Ermahnung und weniger als eine Zustandsbeschreibung zu verstehen.
Mit diesem Linné’schen System erfassten die Biologen bis zum Jahre 1980 etwa eineinhalb Millionen verschiedener Pflanzen- und Tierarten. Auf Grundlage des vorhandenen Kenntnisstands und des Wissens, was noch an wissenschaftlicher Klassifikationsarbeit vor ihnen lag, kalkulierten sie einen wahrscheinlichen Gesamtbestand an Arten in der Höhe von zwei Millionen.
Ein Viertel unbekannter stand damals drei Vierteln bekannter Arten gegenüber. Doch mit einer Qualmwolke aus Gift, die in Panama in die Kronen von Bäumen im tropischen Regenwald gesprüht wurde, veränderte sich die Lage schlagartig. Aus dem Kronendach des Tropenwaldes kamen so viele neue, unbekannte Arten herabgeregnet, dass die daraufhin angesetzten Berechnungen die Zahl der wahrscheinlich existierenden Arten auf 50 Millionen in die Höhe schießen ließ.
Forschungen in den Urwäldern Südostasiens und Oberamazoniens bekräftigten diese ersten Befunde zur noch unerforschten Artenvielfalt in den Baumkronen der Regenwälder. Es waren also nicht drei Viertel der Arten bekannt, sondern lediglich drei Prozent, wenn die Hochrechnungen einigermaßen stimmten. Weitere Berechnungen ergaben Schätzwerte von wenigstens zehn und bis zu 100 Millionen Arten. Und bis heute, mehr als 30 Jahre nach dieser überraschenden Erkenntnis, weiß man kaum mehr, als dass die Zahl der wissenschaftlich erfassten Arten nun knapp an zwei Millionen reicht und es mit Sicherheit immer noch sehr viele unbekannte gibt.
Hier setzt nun die Sorge der Artenschützer an. Da alljährlich zwischen acht und 13 Millionen Hektar Tropenwald vernichtet werden, allein im sehr artenreichen Brasilien zwischen anderthalb und drei Millionen, muss mit sehr hohen Verlusten an Arten gerechnet werden, die wir gar nicht kennen. Denn die enorme Steigerung der Artenzahl im Vergleich zu den früheren Annahmen ergab sich aus dem Befund, dass insbesondere in den Tropenwäldern sehr viele Arten hochgradig spezialisiert sind. Viele haben nur kleine Verbreitungsgebiete, ein hoher Anteil der Arten ist auf einzelne Baumarten spezialisiert, und die allermeisten sind schon von Natur aus selten bis sehr selten.
Mit der großflächigen Vernichtung der Tropenwälder müssen daher, so die Überlegungen, zwangsläufig viele Arten aussterben, die wir nicht kennen und daher auch nicht benennen können. Jetzt ist auch klar, warum die Zahlenangaben zu den täglich oder jährlich aussterbenden Arten so sehr schwanken. Sie hängen davon ab, welche Gesamtzahl von Arten den Berechnungen zugrunde gelegt wird. Bei nur zwei bis drei Millionen würden fast gar keine von der Tropenwaldvernichtung betroffen sein, zumindest auf absehbare Zeit – bei 20 , 30 oder 100 Millionen Arten jedoch sehr viele. Sollten die Hochrechnungen auf 50 und mehr Millionen Arten, von denen 70 bis 80 Prozent in den Tropenwäldern leben, tatsächlich zutreffen, wäre ein großes Sterben der kleinen Arten im Gang.
Ob das » wichtig« ist, ist eine andere Frage. Um das beantworten zu können, werden wir uns im nächsten Kapitel mit dem Spektrum der Arten näher befassen. Warum wir so wenig über den Artenreichtum der Erde wissen, lässt sich dagegen leicht beantworten. Forschungen in diese Richtung galten und gelten immer noch, wie aus den Zuteilungen der Forschungsmittel allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz auf das Deutlichste hervorgeht, als minderwertige » Käferbeinezählerei«. Allenfalls in Museen wurde sie geduldet, weil sie allein schon für das Ordnung schaffen und Ordnung halten in der Vielfalt der Exponate unentbehrlich war.
Unter den derzeitigen Forschungsbedingungen in den zoologischen und botanischen Museen der Erde mit nur 10 000 neu beschriebenen Arten pro Jahr würden in tausend Jahren erst zehn Millionen der angenommenen 50 Millionen wissenschaftlich exakt erfasst sein. Und selbst wenn es » nur« zehn Millionen Arten geben sollte, läge immer noch fast ein ganzes Jahrtausend Forschung vor uns. Arten lassen sich eben nicht » zählen« wie Sterne und automatisch erfassen. Doch in die Kartierung der Sterne wird ein Vielfaches an Geld gesteckt, verglichen mit der Erfassung der Artenvielfalt der Erde.
Die in diesem Bereich der Forschung Tätigen werden den Verdacht nicht los, dass man sie auch deswegen kurzhält, weil die Entdeckung neuer Arten Entwicklungs- und Investitionshindernisse
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